SO WIE BISHER KANN ES NICHT WEITERGEHEN.

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Am Beginn des Jahres 2019 sind die politischen und gesellschaftlichen Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben nicht mehr gegeben. Der Aufstieg der extremen Rechten und die Tatenlosigkeit bzw. deren Akzeptanz und damit Legitimierung durch vermeintlich demokratische Kräfte strafen die proklamierte Anerkennung humaner Werte als Entscheidungsbasis und Ziel Lügen. Demokratie, Menschenrechte, Genfer Konvention, Internationales Recht und Medienfreiheit werden nicht mehr nur von diktatorischen Regimen ignoriert bzw. außer Kraft gesetzt, sondern quer durch Staaten, Parteien und Institutionen preisgegeben.1

Demokratie, Menschenrechte, Genfer Konvention, Internationales Recht und Medienfreiheit werden nicht mehr nur von diktatorischen Regimen ignoriert bzw. außer Kraft gesetzt, sondern quer durch Staaten, Parteien und Institutionen preisgegeben.

In diesem Prozess spielen Medien eine entscheidende Rolle. Für all jene Journalist*innen und Medienschaffende, die sich mit einer solchen Entwicklung nicht gemein machen, sondern ihr etwas entgegensetzen wollen, bedeutet dies die dringende Notwendigkeit einer kritischen Auseinandersetzung mit den Bedingungen des eigenen medialen Feldes sowie den Mut, neue Methoden des Arbeitens und Publizierens auszuloten.

Das ist einerseits Frage der Ressourcen (mit der immer eine der Un/Abhängigkeit einhergeht), aber auch eine der Kommunikationsbereitschaft und des journalistischen Selbstverständnisses. Für wen arbeite ich zu welchen Bedingungen mit wieviel Entscheidungsfreiheit und in welcher Funktion? Aber auch: Welche Inhalte bringe ich wie und aus wessen Perspektive an die Öffentlichkeit?

Wohin etwa die in der Medienbranche so gepushten großen journalistischen Einzelkämpfer und vermeintlichen Helden – weiß, männlich, bürgerlich – „geführt“ haben, wird gerade dieser Tage sehr deutlich sichtbar. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen des omnipräsenten aalglatten Storytelling treten einerseits in den Fälschungsskandalen eines Claas Relotius ans Licht, aber sie manifestieren sich schon sehr viel länger und weitaus fataler in der Kritiklosigkeit einer breiten Masse gegenüber totalitären Entwicklungen. Beides ist eng miteinander verbunden – denn die eine große Story ist immer autoritär.

Die Story ist Teil des Problems.

Die allwissenden Erzähler mit ihren schönen, bruchlosen, in sich geschlossenen Geschichten nach immer den gleichen Mustern, die die Welt illustrieren, aber nicht erklären. Die keine Zusammenhänge herstellen und vermitteln, sondern exotisieren und trennen. Du und die anderen da draußen. Nur in diesem Konzept können diese Erzähler ihren heroischen und, wichtiger, singulären Vermittlerplatz einnehmen. Also tun sie alles, um das Konzept festzuschreiben, Satz für Satz. Und die Redaktionen, Jurys und Rezipient*innen liegen ihnen zu Füßen und fordern immer mehr vom selben. Denn solche Geschichten sind leicht verdaulich und konsumierbar, folglich gut verkäuflich. Jede/r Produktentwickler*in und jede/r PR-Manager*in weiß das, vom Klopapierhersteller bis zum Autokonzern. Die Stroy verkauft das Produkt.

Die Stroy verkauft das Produkt. Nur dass Welt und Wirklichkeit eben keine Produkte sind. Versucht man sie dazu zu machen, wird es gefährlich.

Nur dass Welt und Wirklichkeit eben keine Produkte sind. Versucht man sie dazu zu machen, wird es gefährlich. Dieser Strategie bedienen sich auch Politiker, je autoritärer je intensiver. Politiker, die ebenso weiß, männlich, bürgerlich bis superreich sind und die ihre vermeintliche Heldenstory an die Macht bringt. Ob Orbán, Trump oder Bolsonaro, sie erzählen ihre Story leicht verständlich und simpel, dafür umso eingängiger, keinesfalls reflektiv. Sie haben (scheinbar) einfache, aber brutale Lösungen im Angebot, die einzig auf Abwertung des Anderen (Frauen, Menschen anderer Herkunft, Religion, Sexualität, Aussehen, sozialer Position, was auch immer sich findet) aufbauen. Je radikaler ihre Story, desto größer scheint aktuell ihr Zulauf und umso eher bekommen sie die Mittel an die Hand, ihre Erzählungen in die Tat umzusetzen. Darin liegt die eigentliche Katastrophe – denn es sind diese Geschichten, aus denen Haß, Gewalt und Krieg geschmiedet sind.

Die Bereitschaft, Aufnahmefähigkeit und Gewöhnung werden nicht zuletzt durch Medien befördert, die statt auf Aufklärung und kritischen Diskurs zu setzen den kompatiblen Weg der Geschichte/n gehen.

(K)Eine Geschichte schreiben

Tatsachen zu berichtenen ist die zentrale journalistische Aufgabe. Aber bekanntlich schaffen Medien auch Tatsachen. Die Auswahl von Inhalten und Schwerpunkten sind bewußte Entscheidungen. Die Welt verändert sich durch das Wissen der Menschen, die in ihr leben. Durch einen öffentlichen Diskurs entsteht und manfestiert sich Wirklichkeit, er verändert private und politische Entscheidungen und Verläufe. Dieser Prozess ist Teil jeder demokratischen Verfassung, zu deren Fundamenten Medien- und Pressefreiheit zählen. Dieser Diskurs wird aktuell in Europa und weltweit massiv beschnitten.

Dagegen wirkt keine einzelne Story, sie ist Teil des Problems. Der Widerstand beginnt vielmehr mit der Erkenntnis, dass die Welt nun mal nicht wie ein Hollywood-Skript funktinoniert. Zusammenhänge sind komplex, widersprüchlich, unübersichtlich, Menschen und ihre Entscheidungen sind von unterschiedlichsten Parametern abhängig, das Wirken von Macht lässt sich nicht mit ein paar emotionalen Szenenbildern vermitteln.

Notwendig sind Haltung statt Pseudoobjektivität. Multiperspektivische Sichtweisen statt großer Einzelerzählung. Beteiligung auf Augenhöhe, statt Objektivierung des Gegenübers. Kooperationen statt lonely heroes. Austausch statt Wettbewerb.

Notwendig sind Haltung statt Pseudoobjektivität. Multiperspektivische Sichtweisen statt großer Einzelerzählung. Beteiligung auf Augenhöhe, statt Objektivierung des Gegenübers. Kooperationen statt lonely heroes. Austausch statt Wettbewerb – denn Tatsachen enden nicht an Redaktionstüren oder Landesgrenzen, dort beginnen sie. Work in progress statt abgeschlossener Berichte und ignorierter Folgen. Dranbleiben, statt einmal grelles Scheinwerferlicht und danach wird’s dunkel und keiner schaut mehr hin. Transparente Fehlerkultur und -korrektur statt inszeniertes Allwissen. Information bedeutet nachvollziehbar verortete Fakten, nicht zusammenhanglose Szenenschilderungen als Illustration von Wirklichkeit. Und sie bedeutet Empathie, die über den kurzen Moment des Effekts hinaus anhält und im täglichen persönlichen und politischen Leben und Entscheiden wirksam wird.

Deshalb sollen hier künftig Themen und Entwicklungen im Fokus kooperativer Recherchen und Berichte stehen und diese durch langfristiges Dranbleiben im öffentlichen Diskurs verankert und gehalten werden. Fragen, Anregungen, Zusendungen werden nicht ignoriert, sondern sind Teil der redaktionellen Arbeit inkl. Faktencheck und Publikation. Hetze und Propaganda werden in diesem Netzwerk hingegen keinen Platz bekommen, auch nicht in den Kommentarleisten. Dafür sollen jene Menschen, Inhalte und Zugänge beleuchtet werden, die selten eingehende öffentliche Beachtung und Thematisierung erfahren. Wohl nicht zuletzt deshalb, weil sie  autoritären Entwicklungen wirksam etwas entgegenzusetzen vermögen.

Das sind TATsachen.

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1 „The claim that the EU’s fundamental values are respect for human dignity and human rights, freedom, democracy, equality and the rule of law has been in question for several years now. However, in 2018 this claim lost any remaining standing. […] we can see the rise of fascism and a deterioration in basic human rights, such as freedom of movement and the right to seek asylum. The leniency towards and acceptance of the rise of the far-right in European countries is worsening living conditions for people on the move and increasingly endangering their lives.“

Letter to citizens of the EU from the “periphery”: Politics of the closed borders are bringing us closer to fascist rules