EURASISMUS UND NAZI-JARGON

About War

Mirnes Sokolović
Aus dem Bosnischen von Elvira Veselinović

Vorbemerkungen zur deutschsprachigen Veröffentlichung:
Der folgende Artikel ist der zweite von drei Teilen1, in denen sich der Autor u. a. mit dem publizistischen Zusammentreffen des radikal rechten serbischen Filmregisseurs Dragoslav Bokan, ehemaliger Kommandeur der z.T. wegen Kriegsverbrechen in Bosnien verurteilten paramilitärischen Organisation „Weißer Adler“ und Aleksandr Dugin, dem heutigen Putin-Berater, als Herausgeber und Autor der rechten serbischen Zeitschrift „Naše Ideje“ („Neue Ideen“). Ihre Strategie, sich linkem, v. a. alterglobalistischem Vokabular zu bedienen und für ihre radikal rechten, anti-demokratischen, anti-pazifistische Ideologien umzudeuten, hat bis heute Einfluss auf die Neue Rechte in Europa und den Kreml.

Der (Neo)Eurasismus ist eine eine politische Bewegung mit einer totalitären Ideologie nach Aleksandr Dugin, Faschist, Philosoph und Mystiker. Das russische Volk inklusive die russisch-orthodoxen Kirche gilt darin als Wahrerin der Tradition und ist dem postmodernen Westen in einem archaischen Gegensatz entgegengesetzt. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ging der Umbruch zum Neo-Eurasismus einher. Dieser steht in scharfer Opposition zu den USA und tritt für Bündnisse mit den Völkern Kontinentaleuropas sowie Klein-, Zentral und Ostasien ein. Dabei treffen bzw. überschneiden sich diese Ideen mit denen der westeuropäischen Neuen Rechten. Seit dem Bestehen der Russischen Föderation ist der Eurasismus tief in der russischen Politik verankert. Dugin hat sich als Anführer der Bewegung in der militärisch-politisch-wissenschaftlichen russischen Elite etabliert.2

Die Altermondialisten3 und Eurasier4 zählen zweifellos auch den Postmodernismus zu ihren Hauptfeinden. Sie empfinden ihn als Symptom für den Sieg des Imperialismus und das Ende der Weltgeschichte.

Dieser Weg – sagen sie – führt zur Befreiung des Menschen von allem, was ihn zum Menschen macht; zu über-individuellen und außermenschlichen Werten und Idealen. Es ist die Zeit der schlimmsten Krise des Individuums, über dem der Mondialismus schwebt, der den Menschen als höchsten Wert leugnet. Darin wird auch ihr Problem mit der neuen Linken bestehen, die – im Gegensatz zur alten Linken – die Strukturen des Verstandes in Frage stellt, die Gültigkeit der Realitätskonzepte anzweifelt, die Wissenschaft als Mystifikation enttarnt, die Diktatur »akademischer Kreise« zerschlägt und das Konzept des »Menschen« als »totalitäre Abstraktion« kritisiert.

Der Globalismus schafft Bedingungen für eine fatale globale »Revolution der Vielheiten« die unter Ausnutzung der allumfassenden Kommunikation und Verbreitung offenen Wissens ein Netzwerk der globalen Sabotage schaffen wird – so wie man vom Menschen auf den Post-Menschen übergeht (auf Mutanten, Cyborgs, Klone, virtuelle Wesen), der sein Geschlecht, sein Äußeres und die individuelle Rationalität nach eigenem Gutdünken frei wählt.

Mit der Zeit werden sich die Alterglobalisten/Eurasier postmodernistischer Strategien bedienen, mit denen sie zu politischen Zwecken jonglieren werden. So werden sie zum Beispiel mit postkolonialem Beiklang den Westen beschuldigen, er stelle sich selbst als »fortschrittlich«, »progressiv« und »zivilisiert« dar, während alle anderen historischen Erfahrungen und gesellschaftspolitischen Systeme mit etwas »Unvollkommenem«, »Zurückgebliebenem« und »Barbarischem« gleichgestellt werden.

Indem sie das postmoderne Glossar umstülpen, werden die Altermondialisten es ausnutzen, dass jede Darstellung als Lüge betrachtet werden kann. Es existiert kein allgemeines System mehr, sondern das westliche, amerikanische, russische, chinesische, iranische oder indische Wertesystem, die jeweils die simpelsten Dinge ganz anders deuten. Das Endresultat wird sein, dass Dugin, in der Umkehr eines post-truth-Rhetorik-Slogans, die russischen Kriege der ersten drei Jahrzehnte des 21. Jahrhunderts in den westeuropäischen Medien verteidigen wird, und zwar damit, dass es eine russische Wahrheit gibt.

Diese postmodernistische Kodierung wird auch in der zweiten Ausgabe von Naše ideje spürbar, in der für die Rehabilitation traditioneller Anagramme und meta-historischer Zeichen geworben wird, die die Essenz der eurasischen Heimat, der slawischen Spiritualität und des serbischen Vaterlandes bilden. Diese Symbole sollen als Boten des Unerreichbaren und Fenster des Ewigen als primordiale Erinnerung an die unbekannten Galeerensklaven dienen, im Namen des Sprungs aus dem Nichts zur Sternenheimat unserer Rasse.

Indem er im Text Protiv postmodernizma [»Gegen den Postmodernismus«] diesen Mythos des 20. Jahrhunderts offiziell angreift, führt Dejan Ćorić an, noch nie in der Kunstgeschichte habe sich ein als Postmoderne bekannter Fall ereignet, wenn eine Zeit ohne Stil, ohne irgendwelche stilistischen Anzeichen in Erscheinung tritt. Eine solche Epoche gäbe es in der Geschichte nicht, in der die Verschmelzungen, Mixturen die die künstlerischen Besonderheiten in der Osmose der hellenischen mit der indischen Kunst auslöschen und dabei den Alexandrismus zunichte machen, das frühe Mittelalter, den Japanismus und die gegenseitige Durchdringung der Künste von Ost und West, in einer nicht wiederzuerkennenden Melange ohne scharfe Stilgrenzen, gegenüber der wahren und sichtbaren Durchmischung von Stilen.

Diese Graffiti-Kunst, entwickelt von ausgegrenzten verzweifelten Randfiguren in Zürich, die dafür bis zu sechs Monate im Gefängnis absitzen mussten, wird jetzt lukrativ von amerikanischen Schwulen wie Keith Haring zu einer Underground-Ästhetik weiterentwickelt, die sich heute als vorherrschende Bildschrift in den Medien erweist, wie die Prozesse der postmodernen Satanisierung wirken. Das Endresultat wird die Untermenschenkunst der Schwarzen aus New York sein – so enttarnen Naše ideje diese ästhetische Weltverschwörung – deren Austoben auf Leinwänden und andere Schmierereien ebenso von manchen Galeristen zu fettem Geld gemacht werden.

Während er diese postmodernistischen Register in Grund und Boden redet, wird dieser Ästhet durch eine magische Wendung plötzlich zum Endzeitpropheten, da, wie er sagt, alle großen Denker der Zukunft die Endzeit um 2000 herum vorausgesagt haben. An jedem dieser Scheidepunkte, sagt er, wurde das Ende der Weltgeschichte, die Apokalypse, das Jüngste Gericht und der Beginn der Über-Geschichte erwartet, während die Astrologie, diese schwärzeste Magie von allen, die Seelen der heutigen Schöpfer verdeckt. Auch die Rock’n’Roll-Musik, einst als friedensstiftend propagiert, wird das dämonische Antlitz der Vernichtung offenbaren.

Währenddessen produzieren die Laureaten des Filmfestivals in Cannes, die großen Regisseure der westlichen Filmkunst wie David Lynch, ganze Oeuvres und Serien dämonischen Charakters, dem uralten Bösen gewidmet, das sich heute einreiht in den Rhythmus der grandiosen Realisierung negativer Utopien, verkörpert in der Technik und Vision der technischen Zukunft. Dieser Kritiker der Naše ideje wird das Geheimnis erkennen, warum alle Produkte, die eine Medieninformation transportieren (im Unterschied zu denen vor dem Krieg und aus den 50ern und 60ern) jetzt schwarz sind und warum Funk und Fernsehen dem Ikonographen ein Ausmaß diabolischer Übergriffe bieten.

Die Ästhetik der rechten Naše ideje setzt sich diesem postmodernistischen Überfluss entgegen, in dem sie ein Geflecht okkulter alternativer Wahrheiten vereinnahmt und sich dabei auf einsame Geister stützt die – wie sie sagen – den Widerstand gegen die Zeit begründen, so wie die Mediala5 die Selbstwichtigkeit und Sakralisierung der Kunst nachahmt, indem sie den post-surrealistischen Slogan nachbetet: Kunst wird heilig sein oder es wird sie nicht geben.

Da sie völlig an diese (neo)avantgardistische Prophezeiung glauben, die den Umbruch in der Weltgeschichte für das Jahr mit der diabolischen Symmetrie ansetzt (1991), tragen die Naše ideje nun mit Worten und Konzepten zum okkulten postmodernen Spiel bei und geben diesen so ihren politischen Obolus. Indem er sich darauf verlässt, dass dieses mediale Glossar seinen endgültigen Angelpunkt in der Tradition findet, ruft dieser Alterglobalismus Denker wie Guénon, Evola, Berdjajew, Heidegger und Hamvas zu Hilfe.

Genau wie sich die deutschen reaktionären Modernisten der Zwischenkriegszeit nicht ausschließlich entweder für Kultur oder für Technik entscheiden, wie es die klassischen Konservativen empfehlen, sondern diese zu einer Synthese von Technologie und Kultur verschmelzen, wodurch die moderne Technik in das kulturelle System des deutschen Nationalismus eingebaut wird, ohne dass dabei (nach Jeffrey Herf) die romantischen und antinationalen Aspekte verlorengehen, ebenso drehen die Alterglobalisten und Eurasier zu Beginn der Neunziger, und auch in der serbischen Variante der Naše ideje, diesen Antimondialismus nicht einfach zu einem gewöhnlichen nationalen Hirtenspiel, sondern träumen stattdessen von einer vereinigten, technologisch und intellektuell überlegenen Gemeinschaft, die zudem auch supranational ist und den gewöhnlichen Materialismus der Vergangenheit hinter sich lässt.

So wie Célines Pamphlete oder Jüngers Essays auch im fragmentarischen Rhythmus der Avantgarde niedergeschrieben sind, verwenden auch die Altermondialisten post truth-postmoderne rhetorische Wendungen und Alter-Visionen über die Endzeit, als Intarsien eines konkreten politischen Programms.

Das wird derselbe Weg sein, den die deutschen reaktionären Modernisten vorweggenommen haben, als die militärisch-industriellen Bedürfnisse unter Hitler zu Nationaltugenden wurden. Eben das, was beispielsweise Thomas Mann6 im reaktionären Modernismus als gefährliche Melange robuster Zeitgemäßheit und einer bejahenden Haltung zum Fortschritt erkannt hat, in Kombination mit den Träumen aus der Vergangenheit – wird spürbar auch in der Begeisterung mit Dugins Gedanken konservativer Revolutionäre und ihrem hochtechnologischen Romantismus als Meridian eines neuen hohen postaufklärerischen Welt, in der die heroischen Werte einer fast vergessenen Tradition wieder zum Leben erweckt werden.

Für Dugin ist die Konservative Revolution »Die letzte Revolution«, »die größte Revolution in der Geschichte, kontinental und universell«, »die Rückkehr der Engel, Auferstehung der Helden und der Aufstand des Herzens gegen die Diktatur des Verstandes«, und mit dieser Nähe korrespondieren Dugins Konzepte, wie die Forscher zeigen, eindeutig mit dem Faschismus, und geeint werden sie von der geopolitischen Vision über den Gegensatz zwischen Land und Meer, was die moralischen Dimensionen des manichäischen Kampfes zwischen Gut und Böse annimmt.

Das zweischneidige Schwert der konservativen Revolution wird auch im Programm der Nationalbolschewistischen Partei spürbar, die den Wissenschaftlern, Forschern und Entdeckern »paradiesische Bedingungen« und eine bevorzugte Finanzierung aus dem Staatsbudget verspricht, sobald ihre Freiheit durch Loslassen von der Aggression des Mondialismus eingeschränkt wird, diesem »inneren Feind« des Nationalbolschewismus.

Der ferne Impuls der konservativen Revolution wird auch in Dugins Sicht auf die Kommunisten zu Beginn der Neunzigerjahre spürbar, wenn er hervorhebt, die heutigen Kommunisten seien völlig anders: »Es geht um jene wahren Kommunisten, die niemals an der Macht waren, während die falschen, welche die Macht hatten, den Terror ausübten, sich heute als Demokraten und Fürsprecher des liberalen Kapitalismus ausgeben. Obwohl ich stets ein unerschütterlicher Antikommunist war und bleibe, muss ich zugeben, dass der Kommunismus zumindest potentiell eine nationale, beziehungsweise nationalistische Perspektive besaß.«

Die Eurasier – so sagt er – haben längst die Verwandlung der kommunistischen Partei in eine Partei nationalen Typs vorhergesehen, völlig immun gegen die Inklusionen des Proletarier-Internationalismus. Nach der Perestroika war die russische kommunistische Partei frei von der Dominanz des Marxismus, Atheismus, Internationalismus und des negativen Leninismus und wurde zu einer Partei nationalen Typs, mit einer gigantischen politischen, staatlichen und geistigen Zukunft.

Bei der Darstellung konservativer Revolutionäre in der zweiten Nummer von Naše ideje ist es ihm, wie er sagt, besonders wichtig, die Geschichte einer besonderen Ideologie zu beleuchten, die sich weder zur Kategorie der Rechten noch zur Kategorie der Linken zählen lässt, da hier die Linke augenblicklich zur Rechten wird und umgekehrt, im Einklang mit der besten eurasischen Tradition, wie sie Sawitzki vor langer Zeit angekündigt hat. Unbelastet durch die moralische Seite konservativer Revolutionäre, da jede Idee im Verlauf ihrer Realisierung diskreditiert werden kann, da das politische Leben ohnehin von der Verteufelung durch Propaganda gekennzeichnet ist, egal wie viele blutige Verbrechen die »Kommunisten«, »Kapitalisten« oder »Faschisten« begangen haben mögen, ihre ideologischen Konzepte gilt es objektiv und unparteiisch zu erklären.

Die Konservativen Revolutionäre, sagt er, bilden eine Ausnahme, indem sie die tiefe Krise politischer und gesellschaftlicher Bewegungen in Europa zwischen den zwei Weltkriegen nicht leugneten, doch im Gegensatz zur Linken die Thesen von der Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit auch nicht radikalisierten und dabei auf einem gegensätzlichen Ansatz beharrten, der danach strebt, zu der Gesellschaftsordnung zurückzukehren, die nicht nur der Revolution  vorausgegangen ist, sondern auch den Ursachen, die zur Revolution geführt haben. Indem sie sich der Breite der sozial-politischen Krise durchaus bewusst waren, gelangten sie zur völligen Leugnung linker Ideen, durchliefen Phasen der Begeisterung durchliefen und riefen gleichzeitig zur Hinterfragung rechter Werte auf, in Richtung einer revolutionären Radikalisierung.

Das Konzept des Dritten Weges ist fast immer auf die eine oder andere Weise mit der Spur des Russischen Weges verbunden, und die Forscher heben ausnahmslos die Russophilie der konservativen Revolutionäre hervor. Hier ist die geopolitische Besonderheit Russlands und dessen historisches Schicksal entscheidend. Die am meisten verbreitete geopolitische These des »Dritten Wegs« kann als »weder Ost, noch West« formuliert werden, was die Zurückweisung sowohl »aufklärerischer«, »atlantischer« Tendenzen als auch gesellschaftlicher Archaismen asiatischen Typs bedeutet.

Vorläufer des Dritten Wegs gab es auch in Deutschland, denn der Archetyp der deutschen Seele und die geopolitische Position der Deutschen fördert bei diesen, ähnlich wie bei den Russen, eine Neigung zu einer solchen Ideologie, angefangen bei Fichte, Herder und den Romantikern, über Nietzsches Synthese bis hin zu Carl Schmitt und Ernst Jünger.

Der Konflikt des kontinentalen Deutschland mit dem »atlantischen« Frankreich und England sowie die »nicht-Östlichkeit« der europäischen Deutschen haben das »ursprüngliche Germanentum« zu einem logischen Synonym des Dritten Wegs in einem äußerst europäischen, westlichen geopolitischen Raum gemacht. Diese Elemente sind auch im russischen Bolschewismus anzutreffen – von den Smenowechowtzi bis zu den heutigen Neostalinisten – und der italienische Faschismus gründet in seiner Frühphase fast völlig auf den Prinzipien der konservativen Revolution.

Die vollständigste und totale Inkarnation des Dritten Wegs – sagt Dugin – war der deutsche Nationalsozialismus. In der Verbindung des rechten Konzepts von Nationalismus mit dem linken Konzept von Sozialismus wird es offensichtlich, dass es hier weder um einen rechten noch einen linken Weg geht, sondern eben um den Dritten Weg.

Die Laufbahn dieses Standpunkts in Europa nach 1945 fällt in die »Epoche der Katakomben«, während sie in der Dritten Welt auf der politischen und sozialen Ebene unmittelbar nach 1945 verwirklicht wird. Die Ideen sozialer Gerechtigkeit und die Hinwendung zu den unteren Bevölkerungsschichten, denen Arbeit, finanzielle Hilfe und der Schutz ihrer wirtschaftlichen Rechte garantiert wurden – alles ziemlich linkslastig im faschistischen ideologischen Komplex – sowie auch die kulturelle Tendenz des frühen Faschismus, verbunden mit avantgardistischer Kunst, Futurismus und Modernismus, sind die entfernten Echos der konservativen Revolution.

In der rumänischen Variante wird in Form der berühmten Eisernen Garde, an deren Spitze der wichtigste und respektierteste Mann der Konservativen Revolution, Hauptmann Corneliu Codreanu, stand, der reinste Archetyp des Dritten Weges konserviert, der seinen Abglanz in drei Aspekten findet – im italienischen Faschismus mit dessen Etatismus und Staatsordnung; im deutschen Nationalsozialismus, der sich der Nation als Seele widmet und im rumänischen Gardismus mit der mystischen Orthodoxie, veredelt durch Folklore mit religiösen Themen und mystisch-politischen Hymnen.

Obwohl die Oktoberrevolution das Hauptthema der russischen Eurasier ist, widersetzen sich diese den Linken, die die bolschewistische Revolution erkämpft haben, und sind gleichzeitig zerstritten mit der Rechten, die den Bolschewismus als rein äußerlichen Faktor ansieht und das prä-revolutionäre Regime als perfekt betrachtet. Die Hauptursache der Krise stellt für die Eurasier das Westlertum dar, begleitet von der Absolutisierung der Zarenherrschaft, der Pseudoaristokratie, der Intelligenzija als »entwurzelter Schicht«, dem Verlust der totalen Orthodoxie, der Degradierung des petrinischen Russlands in Richtung des groben, nichtorganischen Kapitalismus des 19. Jahrhunderts.

Die Eurasier nannte man manchmal auch »slawophile Futuristen«, da sie den Traditionalismus und sogar die Archaizität mit der Tendenz zur Befriedigung völkischer Bedürfnisse mit sozialer Gerechtigkeit verbanden. Der Russische Dritte Weg spaltet sich in die Nationalbolschewiken, die im Stalinismus einen gewissen Umschwung zur völkisch-imperialistischen Naturelement sahen, sowie die Nationalsozialisten, sie sich mit den Deutschen im Krieg solidarisierten.

Ein besonderes von den Eurasiern aus der nationalsozialistischen Tradition ererbtes Moment  – sagt Dugin – ist die Mission der Waffen-SS im intellektuell-wissenschaftlichen Sinne, die sich anstatt des begrenzten nationalen Germanentums für ein einheitliches Europa einsetzte, aufgeteilt in ethnische Regionen mit neofeudalen Zentren, wobei den ethnischen Deutschen keine besondere Rolle zuteil wird. Diese Organisation hat internationalen Charakter und umfasst auch die Vertreter der »farbigen« Völker – asiatische und nahöstliche Muslime, Tibeter, Türken und Araber.

Die Bewegung der SS ließ gewisse Seiten des mittelalterlichen geistlichen Ritterordens wieder aufleben, mit den typischen Idealen der Überwindung von Schranken, von Armut, Disziplin und meditativen Praxen, womit in der Wirtschaftssphäre kategorisch die typisch kapitalistischen Werte Hedonismus, Plutokratie, finanzieller Liberalismus, freier Markt und Zinssystem abgelehnt werden, was auch dem Credo der Naše ideje nahe steht.

Laut Dugin ist es sinnlos, Etiketten wie »die Linke« oder »die Rechte« zu verkleben in einem geopolitischen Feld, in dem »Atlantismus« oder »Eurasiertum« gegeneinender kämpfen. Da Russland jetzt untrennbar mit dem Rest der Welt verbunden ist – mahnt er – darf nicht zugelassen werden, dass ein bipolares Rechts-Links-System überwiegt, welches zur Hegemonie eines globalen »amerikanischen Modells« führt. Derzeit sind im ideologischen Bereich die »atlantische« Rechte und die »eurasischen« konservativen Revolutionäre am aktivsten, während linke Tendenzen bisher anarchistischer und nonkonformistisch-liberalistischer Natur sind, völlig unbestimmt und überhaupt nicht überzeugend.

Unterdessen – beharrt er – offenbart sich die Dritte Position heutzutage als etwas sehr Ernstzunehmendes, Fundamentales, Begründetes, das in dieser Welt nach Jalta sein kriminelles Stigma verliert. Sollte bald eine militärische, strategische und industrielle Alternative zum »Atlantismus« in Erscheinung treten, kann diese sich, wie Dugin ankündigt, nur als eurasische Dritte Position offenbaren.

In derselben Ausgabe der Ideje schließt sich Dugins Maschenwerk auch Dragoslav Bokan mit dem Text Herojski realizam akcije7 an, als der kleine eurasische Bruder, um die Vertikale der Rechten und des revolutionären Konservativismus in der serbischen Kultur zu etablieren – wie er sagt – vom Dečani-Marmor, Jefimijas Epitaph und Obilićs Säbelstich über die renaissancehafte Lebhaftigkeit des Hofes von Despot Stefan bis hin zu Venclovićs Predigten, Koders (Đorđe Marković Koder) und Kostićs Hermetismus, Nastasijevićs Tiefsinn und der heroischen Nostalgie Crnjanskis.

Die größten Feinde werden hier die Weltendämmerung, das Verschwinden der Götter, die Vernichtung der Welt, Verwandlung der Menschen in eine Meute sowie Hass und Misstrauen gegenüber allem wahrhaft Freien und Kreativen sein, die auf dem ganzen Antlitz der Erde derartige Dimensionen erreichen, dass Kategorien wie »Pessimismus« und »Optimismus« schon längst absurd geworden sind, genau wie zu Heideggers Zeiten.

Die jungen serbischen Eliten – predigt Bokan – sind unempfindlich gegenüber den schmeichelnden Verführungen der intellektuellen Halbwelt mit deren Internationalismus, aufklärerischen Ambitionen und blindem Glauben an den mechanischen Fortschritt, der sich vor dem Gott der Vernunft und dessen Altar verneigt; sie werden an die geistige Wiedergeburt unseres Volkslebens glauben ohne Rücksicht auf das Unverständnis der »entserbten« Janitscharen-Generationen des Neuen Jugoslawiens.

Die verstoßenen akademischen »Wissenshändler« werden durch ein lebendiges Beispiel der Exzellenz von Heiligen und Kriegern ersetzt, während der beklemmende Kampf um die tägliche Existenz zu einer heroischen Schlacht um höhere und edlere Ziele wird, und die dekadenten Vorbilder der »verdammten Dichter«, des tuberkulösen Fieberwahns und der Selbstmorde im Licht der neuen Kämpfer verschwinden. Es wird entscheidend sein, dass die serbische Intelligenz zu Beginn der Neunziger, so doziert er, zum Altar dieses Europäischen Tempels zurückkehrt und zu den Erben jener wird, die auf den Seiten von »Narodna odbrana«, »Hrišćanska misao«, »Studentske novine«, »Otadžbina« und »Ideje« ihre Zugehörigkeit zur Rasse, die durch Taten ihres Talents, Glaubens und Heldentums triumphiert niederschreiben.

Unter diesen finden sich auch Vladimir Vujić, Miloš Crnjanski, Stanislav Кrakov, Dušan Nikolajević, vladika Nikolaj Velimirović, Momčilo Nastasijević. Wahrscheinlich hat er (außer Svetislav Stefanović) nichts ausgelassen von Druckerzeugnissen und Figuren, was es in den Dreißigern und Vierzigern auf Serbisch ohnehin nicht gab (auch kollaborationistisch) eingestreut in eine Rhetorik des Potschwennitschestwo und der völkischen Literatur, literarischer Rechter, Neuer Weltordnung, die schon bald wie ein Vorhang aus Buchstaben fallen werden, hinter dem unter anderen auch neunzigtausend Serben in Jasenovac getötet werden.

Diese Hingezogenheit des postmodernistischen alterglobalistischen Imaginariums zum Nazi-Jargon auf den Zeitungsseiten der Naše ideje manifestiert sich nicht nur in der Korrespondenz mit diesen Gemeinplätzen der europäischen Rechten als hübsch gewebtem sprachlicher Deckmantel. Dies wird also nicht nur in Exkursen zu sehen sein, in denen, sagen wir, zeitgenössische Diskotheken zum Tummelplatz wilder New Yorker Rhythmen werden, die es mit der einzigartigen Seele und Persönlichkeit des serbischen Volkes zu überwinden gilt, wie die deutsche Seele in den Dreißigerjahren die üblen Rhythmen des Schwarzen Jazz überwunden hat.

Mit anderen Worten machen diese Parallelen nicht einfach dort halt, indem sie auf den Seiten dieser Zeitschrift zu Begriffen dieses Vokabulars und lebendiger Realität werden, zum Beispiel auch in der Begeisterung der chick-lit-Autorin Isidora Bjelica mit der Figur des Hauptmanns Codrean, die sich – was sie in einem Abschnitt ihres Tagebuchs ganz hingerissen zugibt – mit der Zeit zu einer wahren Obsession auswachsen wird, wie jedes wahre Lieben.

Das größte Problem sind hier auch nicht die Ratschläge der Sonja Karadžić, die zu Zeiten der größten kontra-mondialistischen Kämpfe in Bosnien schreibt, einzelne Damen seien falsch verstanden worden, da sie auch selbst die fremden quasi-modernen Trends annehmen und zum Beispiel die schweren Parfums für den Nachmittag lassen, anstatt sich einfach mit Wasser und Seife zu duschen und so einen Beitrag zur Rettung der Umwelt und der Atemwege zu leisten. Hier ist also das problematischste nicht die Lehre aus diesem Text, die sagt, dass wir – nach all dem Blödsinn – zu uns selbst zurückkehren sollten, zu Europa, das hier immer war im Gegensatz zu Amerika, zu dem wir – mit Gottes Hilfe – niemals werden wollen.

Das Verschmelzen dieses alter-globalistischen Panslawentums mit dem Nationalsozialismus zeigt sich sonnenklar in einem besonders inspirierten Exkurs von Dejan Ćorić über Stalingrad und Hitler. Genau in dem Moment, in dem die Slawen – die seit Tagen wie wild gekämpft hatten – endlich den Sieg erringen, beginnt Hitler – laut Ćorić – langsam zu altern, da ihn die Nachrichten in einem Bunker ereilen, die er als Mischung aus Lager und Kloster beschreibt. Er sieht sich im Spiegel seiner bisherigen spektakulären Macht, und im Abglanz dieses großen und letzten Niederlage wird er plötzlich bucklig, sein linkes Bein versagt ihm immer öfter den Dienst, und er wird auch keine große Rede mehr halten.

In dieser Atmosphäre der Angst, beim Austauschen von Selbstmord-Rezepten, phantasiert und träumt Hitler, keineswegs verrückt, sondern nur ein abnormaler Mensch, erbaut nach anderen, höheren Parametern als den menschlichen, in seiner Projektion von der Zukunft, und studiert aufmerksam die Kolonnaden, Kuppeln, Winkel und Blickwinkel des Pantheons und der Tempel seiner Geburtsstadt Linz.

Es beginnt also alles in der Kunst, wird hier gesagt, und alles endete darin, im Traum der Geschichte und der Architekturgeschichte, die Kant als das  einzig Denkwürdige ansah. Draußen, auf der Straße, vor dem Untergang – erklärt Ćorić – klagte Hitler niemanden für den Misserfolg und die Niederlage an. Schuld war der Feind, der keine bessere Welt wollte.

– Das letzte Foto von Hitler, aufgenommen ein paar hundert Meter von der russischen Frontlinie entfernt, zeigt ihn bleich und gebrechlich, entfernt an Napoleon erinnernd. Ein großer Traum der Germanen war an einer großen Realität zerbrochen, die unschuldige Aufrichtigkeit einer Rasse wurde von Generationen ohne Illusionen abgelöst. Der Nationalsozialismus ist gegangen, der Kommunismus gekommen; die Demokratie ist gekommen und mit ihr Menschen, die keine Träume kannten.

Der Jargon von der großartigen Kunst, der ehrbaren Rasse, den menschlichen Träumen und großen Idealen, die Germanen und Slawen gemeinsam sind, der demokratischen Fäulnis – all das wird Jahre später genau so ins Imaginarium einer serbischen alter-globalistischen Zeitschrift weitervererbt werden, vor den Herausforderungen der neuen, vom Mondialismus vergifteten Welt, und im Glossar ästhetischer Expertisen, und in der Natur politischer Konzepte, die im Eurasiertum und in der konservativen Revolution befürwortet werden.

Noch Jahre später werden die Anatomen der faschistischen Rhetorik üblicherweise schreiben, Hitler sei der größte Praktiker dieses reaktionären Modernismus gewesen, ungeachtet dessen, ob er mit allen Thesen einverstanden war, und ohne Rücksicht darauf, ob all diese konservativen Revolutionäre wirklich ihren nationalsozialistischen Dienst angetreten hatten oder vielleicht in Ungnade gefallen waren. Indem er Autobahnen baute und einen Krieg begann, hat er als einziger die Technik mit der deutsche Seele vereint. Daraus erwächst eine stählerne Katharsis, von der die Kräfte des tiefen, substanziellen, völkischen Deutschlands freigesetzt werden.

Diese Verbindung der konservativen Revolution als der Seele des Eurasiertums mit dem Nationalsozialismus wird auch Dugin nicht leugnen, der lediglich zugibt, keine Zeit mehr zu haben für moralische Beurteilungen und mondialistische rechts-links-Aufteilungen.

Durch Symbole, Metaphern und Analogien wurden auf dem Niveau der Sprache auch hier entfernte und nicht übereinstimmende Bedeutungen miteinander in Verbindung gebracht: Technik und Kultur – dank der konservativen Revolution – sowohl im Nationalsozialismus als auch im Eurasiertum. Im Schwange der Konterrevolution gegen die Aufklärung haben sich Fortschritt und Technik mit der Symbolik und der Sprache der Kultur verbunden – Gemeinschaft, Blut, Wille, Ich, Form, Produktivität und Rasse – befreit aus den Fängen der Zivilisation verschmelzen sie hier mit den Idealen des Verstands, Intellekts, Internationalismus, Materialismus und Finanzen. Das, was die Ingenieure und rechten Literaten träumten, endete mit Slogans, von denen sich die Politiker leiten ließen und so auch in den Krieg zogen, auf zweierlei Art und Weise, sowohl in Putins als auch in Hitlers Fall.


1 Erstveröffentlichung auf: https://www.xxzmagazin.com/euroazija-i-nacisticki-zargon
2 Vgl. Thomas Vorreyer https://www.grin.com/document/293949
3 Alterglobalismus oder Altermondialismus bezeichnet eine soziale Bewegung, die internationale Kooperation und Zusammenarbeit unterstützt, sich aber die negativen Auswirkungen der Globalisierung, wie Umweltzerstörung, Klimakatastrophe, ökonomische und soziale Ungerechtigkeit, Lohndumping, Bürger*innenrechte etc. stellt.
4 Anm. d. Red.: Die Gleichsetzung der Begriffe Eurasier/Alterglobalisten hier und im weiteren
Text paraphrasiert die Taktik der serbischen, aber auch russischen und französischen Neuen
Rechten, Begriffe und Argumente der linken Bewegung für eigene Zwecke zu kapern bzw.
umzudeuten
5 Mediala – Künstlergruppe, 1953 in Belgrad gegründet
6 »Das eben war das Charakteristische und Bedrohliche, die Mischung von robuster Zeitgemäßheit, leistungsfähiger Fortgeschrittenheit und Vergangenheitstraum, der hochtechnisierte Romantizismus.« [Originalzitat Thomas Mann: Deutschland und die Deutschen]
7 Der heroische Realismus der Aktion


Zur Biographie des Autors:

Mirnes Sokolović, geboren 1986 in Sarajevo. Er promovierte an der Philosophischen Fakultät von Sarajevo in südslawischer Literatur. Er ist einer der Gründer und Herausgeber der Literaturzeitschrift SIC!, arbeitete in den Kulturredaktionen von E-novina in Belgrad und Oslobođenja in Sarajevo. Sokolović publiziert Prosa, Essays, Satire, Literaturkritik und Feuilletons in Zeitschriften. Er veröffentlichte den Roman Rastrojstvo (2013) und die Essaysammlungen Izokrenuti durbin (2020) und Kraj avanture (2021).

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Die Publikation erscheint in der Reihe About War – Die Sprache des Krieges, eine Kooperation von tatsachen.at/ausreißer – Die Wandzeitung mit GKP – Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik, Kunstraum Steiermark und Kulturvermittlung Steiermark.