FALLENSTELLEN

Hintergrund

Umgang mit Asylbegehren wechselt von scharf zu extrem

Sind Sie wirklich Afghanin? Wieso sprechen Sie dann so komisch? Warum haben Sie keine Papiere? Zwei Stunden lang prasseln die Fragen auf die 18-jährige Amina ein. Dann plötzlich lockert sich die Beamtin auf der anderen Seite des Tisches. „Warum gehen Sie nicht auf die afghanische Botschaft in Wien und lassen sich dort einen Pass ausstellen?“, fragt die Frau und lächelt.

Die freundliche Frage, so gestellt im Februar in Graz und von Zeugen gut dokumentiert, war eine Falle. Wäre Amina hineingetappt, säße sie schon im Flieger nach Kabul.

Die freundliche Frage, so gestellt im Februar in Graz und von Zeugen gut dokumentiert, war eine Falle. Wäre Amina hineingetappt, säße sie schon im Flieger nach Kabul.

Good cop oder bad cop? Mean Cop. Wer Asyl beantragt und dann Kontakt zu Behörden seines Heimatlandes aufnimmt, verwirkt seinen Anspruch. Seit Jahresbeginn kontrollieren Asylbeamt*innen deshalb systematisch Pässe von Flüchtlingen auf Ein- und Ausreisestempel von Nachbarstaaten des Heimatlands. Kommt jemand aus Syrien und war, nachdem er in Österreich seinen Asylantrag gestellt hat, noch in der Türkei, kann er gleich dort bleiben.

Den Asylanspruch verliert aber auch, wer sich bloß in Wien zur Botschaft des Heimatlandes traut. Amina wurde vor der Falle noch rechtzeitig gewarnt. Wer auf den vermeintlich guten Rat der Beamt*innen hört, bringt das Beweisstück gegen sich selbst gleich selber bei. Ohne Geburtsurkunde glaubt das Amt nicht, dass Amina Afghanin ist. Mit dem frisch ausgestellten Ersatzdokument hätte Amina gezeigt: Ich war bei der Botschaft. Catch 22: In beiden Fällen gibt es kein Asyl.

Noch hat die neue Regierung ihr Vorhaben, die Asylregeln weiter zu verschärfen, nicht umgesetzt. Aber in Verwaltung und Rechtsprechung wird der Wandel von sehr scharf zu extrem schon vollzogen – oder von „von extrem zu extremst“, wie eine Flüchtlingshelferin es ausdrückt. Das Amt meldet diesen Vollzug bereits und spricht triumphierend von einer „Trendumkehr hin zu mehr negativen Entscheidungen und weniger Schutzgewährungen“.

Kein Gesetz, keine Verordnung, nicht einmal eine Weisung steht hinter der neuen Praxis. Es reicht eine Ankündigung.

Kein Gesetz, keine Verordnung, nicht einmal eine Weisung steht hinter der neuen Praxis. Es reicht eine Ankündigung.

Wer verstehen will, wie Wünsche der Regierenden sich in behördliche und sogar richterliche Entscheidungen umsetzen, muss tief ins System hinabsteigen.

Kaum hatten sich die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im Dezember 2017 geeinigt, gegen Asylentscheidungen keinen Gang zum obersten Verwaltungsgericht mehr zuzulassen, protestierten dessen Richter*innen öffentlich gegen den „völligen Ausschluss“ von der Revision. Urteile der ersten Instanz sollen nach dem Willen der neuen Regierung allein noch vor dem Verfassungsgericht angefochten werden können. Ganz ausschließen konnten ÖVP und FPÖ Rechtsmittel mit Rücksicht auf Europa nicht.

Wer glaubte, dass Menschenrechtsbedenken hinter dem Richter*innenaufstand stehen könnten, wurde in den folgenden Wochen eines Besseren belehrt. Von rund 110 Verfahren, über die die vier Asylsenate des Gerichtshofs seit dem Protest entschieden, war auf einmal so gut wie keines mehr positiv. Um ihre Zuständigkeit zu behalten, urteilen Richter jetzt so, wie es der Regierung am besten gefällt. Nicht Flüchtlinge galt es zu retten. Sondern Dienstposten.

Um ihre Zuständigkeit zu behalten, urteilen Richter jetzt so, wie es der Regierung am besten gefällt. Nicht Flüchtlinge galt es zu retten. Sondern Dienstposten.

Anfang Februar erklärte der neue Innenminister Herbert Kickl mit einer seiner ersten Amtshandlungen das Bürgerkriegsland Ukraine zum „sicheren Herkunftsland“. Anträge von dort werden seither im Schnellverfahren abgewickelt, Rechtsmittel haben keine aufschiebende Wirkung mehr. Keine 14 Tage nach dem Kickl-Beschluss verweigerte der Gerichtshof einem ukrainischen Offizier, der „nicht auf meine Landsleute schießen“ wollte, den Schutz: Es sei unwahrscheinlich, dass der 50-Jährige dazu noch Gelegenheit bekomme. Dabei hatte der Mann seine Einberufung schon empfangen.

Ein „sehr starkes Signal“ solle es sein, die Ukraine für sicher zu erklären, hatte Innenminister Kickl verkündet. Das Signal wurde verstanden: Obwohl Polizeiübergriffe gegen Roma in der Ukraine sogar nach dem offiziellen Länderbericht ein „Problem“ darstellen, wiesen die Richter prompt den Asylwunsch eines Paars mit sechs Kindern ab – ohne mündliche Verhandlung.

Mit Unruhe beobachten Anwält*innen, dass es mitunter auch auf verschärfte Regeln schon gar nicht mehr ankommt. In zwei dokumentierten Fällen beschlossen Behörden, Flüchtlinge nach Kroatien und Bulgarien „rückzuüberstellen“, weil es im Amtsdeutsch heißt, weil sie mit den vielen gekommen sind, die 2015/16 über einen der beiden Dublin-Staaten in die EU eingereist waren. Das, obwohl Österreich die Frist, bis zu der solche Abschiebungen erlaubt sind, schon hatte verstreichen lassen.

Betroffen von den Tricks und Rechtsbrüchen sind vor allem Afghan*innen, die beinahe die Hälfte der mehr als 50.000 offenen Fälle ausmachen. Nach dem Erstgespräch, das fast immer negativ ausgeht, „sind viele meiner Klienten weg“, erzählt ein Anwalt, der nach etlichen Shitstorms und einigen Drohungen seinen Namen nicht mehr preisgeben will. Als wichtigstes Ziel der angeblich „Untergetauchten“ wird Deutschland vermutet.

 

 

Foto: (c) Alexander Danner

my light is your light – Installation im Rahmen von Klanglicht, Graz 2018 von Alaa Minawi. Minawi lebt als palästinensischer Geflüchteter im Libanon, seine Arbeit erinnert „an Menschen, die auf ihrer Flucht alles zurücklassen mussten. Sanftes Neonlicht zeichnet menschliche Konturen, ihr Inneres gilt es jedoch wieder zu füllen – mit einer sicheren Zukunft in einem neuen Land.“