ERST DOMINO, JETZT MIKADO

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Der zweifelhafte Ruhm für den Merkel-Seehofer Deal gehört einem Dritten: Sebastian Kurz

KOMMENTAR

Eine „Mücke zum Elefanten“ gemacht hätten Angela Merkel und Horst Seehofer mit ihrem Streit, so die ersten, noch ganz ratlosen Kommentare in Deutschland. Schließlich gehe es bei den Zurückweisungen an der Grenze zwischen Bayern und Österreich, „um durchschnittlich fünf Menschen pro Tag“, und zwar ausschließlich um solche, für die Deutschland erwiesenermaßen nicht zuständig sei.

Aber zur Beruhigung gibt es keinen Grund. Tatsächlich hat die CSU und mit ihr die österreichische Regierung unter Bundeskanzler Sebastian Kurz sich im entscheidenden Punkt durchgesetzt. Zurückweisungen am Walserberg sollen und werden das gesamte europäische Asylsystem kippen. Wenn der Streit zwischen Merkel und Seehofer tatsächlich eine „Mücke“ war, dann war es eine, die Malaria überträgt.

Zurückweisungen am Walserberg sollen und werden das gesamte europäische Asylsystem kippen. Wenn der Streit zwischen Merkel und Seehofer tatsächlich eine „Mücke“ war, dann war es eine, die Malaria überträgt.

Zurückweisungen an der deutsch-österreichischen Grenze geben den Österreichern die lange erwartete Gelegenheit, ihrerseits die Grenzen zu Italien und Slowenien zu schließen. Sie werden dort alle, nicht nur die schon andernorts registrierten Ankömmlinge zurückzuweisen. Slowenien ist schon alarmiert und sieht sich jetzt gezwungen, seine Grenze gegen Kroatien massiv zu verstärken.

Italien wird sich gerechtfertigt sehen, kein Schiff und kein Boot mehr landen zu lassen. Die personell stark aufgestockte Frontex-Agentur wird den Italienern dabei helfen. Einige Boote werden es zurück an die libysche Küste schaffen, andere werden untergehen. Die Passagiere werden ertrinken. Bald werden keine Flüchtlinge mehr über das Mittelmeer kommen. Die Route wird geschlossen sein.

Der zweifelhafte Ruhm dafür wird Sebastian Kurz gehören, und er wird ihn ganz unzweifelhaft genießen. Mit seiner „Schließung der Balkanroute“ hat er Domino gespielt: Er wusste, dass alle Staaten bis hin nach Mazedonien ihre Grenzen schließen mussten, wenn Österreich niemanden mehr hineinließ. Jetzt hat Kurz ein europäisches Mikado-Spiel kaputtgemacht: Er wusste genau, an welchem Stäbchen er ziehen musste, um das ganze Gefüge des Asylsystems durcheinanderkollern zu lassen. Merkel wusste es vermutlich auch. Sie hat es geschehen lassen müssen.

Über „Anlande-“ oder „Ausschiffungszentren“ in Afrika werden und müssen sich Europas Staats- und Regierungschefs künftig keine Gedanken mehr machen. Dass die Beschlüsse des Asylgipfels in der vorigen Woche bloß Luftnummern waren, wird niemandem mehr auffallen. Vielleicht beginnen bald Verhandlungen mit Mauretanien, Mali und Niger – oder mit der Mafiabande, die sich den klingenden Namen „libysche Küstenwache“ gegeben hat. Zu einem Ergebnis werden solche Verhandlungen nicht führen. Es wird in Europa auch niemand vermissen. Die Flüchtlinge werden wie vom Erdbeben verschluckt sein. Sie werden allerdings wiederkommen; über diesen oder jenen Weg, in dieser oder jener Formation, allein oder mit anderen – und auf jeden Fall in größerer Zahl.

Ein greifbares Ergebnis der Mittelmeerroutenschließung sind aber dauerhafte Grenzkontrollen im Schengen-Raum. Man muss sie nicht als dauerhaft deklarieren, nur die vorläufigen verlängern. Ist der „Flüchtlingsstrom“ versiegt, kann man die europäischen Grenzen ja wieder öffnen. Das kann allerdings lange dauern; so lange mindestens, wie ein Dutzend abgerissener Afrikaner am Walserberg den ganzen Kontinent in Panik setzt. Flüchtlingsquote, Dublin, europäisches Asylsystem – alle Debatten sind mit einem Mal vorbei. Chacun pour soi et Frontex pour tous.

Die moralische Empörung in Europa wird ausbleiben.

Die moralische Empörung in Europa wird ausbleiben. Die allgemeine Quelle jedes, auch des sinnlichen, Vergnügens ist Zweckmäßigkeit, sagt der Dichter. Und es war wirklich gut eingefädelt; Sebastian Kurz hat sein politisches Geschick ein weiteres Mal unter Beweis gestellt.