WARTEN AUF BESSERES WETTER

Hintergrund

Die Sozialdemokratie tut sich mit ihrer Oppositionsrolle noch schwer

Die SPÖ ist back on stage. Ein Reizwort des Partechefs: weltoffen!, reichte aus, den Exponenten des rechten Parteiflügels, Hans-Peter Doskozil, zu einer scharfen Attacke zu bewegen. „Wir dürfen keine grün-linke Fundi-Politik betreiben“, rief der burgenländische Landesrat in die Hitzewelle. „Da schaffen wir uns selbst ab.“ Nun, nach einem halben Jahr, soll auch die Opposition den Rechtsruck in Staat und Gesellschaft restlos mitvollziehen. Was die Einebnung aller politischen Unterschiede zu rechten Regierung einmal an Wählerstimmen bringen könnte, ist zweitrangig. Einstweilen, meint die Rechte um Doskozil, droht die Gefahr, den Anschluss an einen fahrenden Zug zu verhindern.

Wo der Zug hinfährt, ist Christian Kern nur zu klar. „Spaltung und Feindbilder“ schaffe diese Regierung, sagte er in seiner letzten großen Pressekonferenz Ende Juli. Statt einer Läuterung der FPÖ sei „das genaue Gegenteil“ eingetreten. Ständig würden „staatstragende Institutionen“ mit unerhörten Attacken „desavouiert“ – wie der Verfassungsschutz, die Sozialversicherung, das AMS, Bundespräsident und EU-Kommissionschef öffentlich „angerempelt“. Zur Ersaufen-lassen-Debatte wurde Kern sogar emotional und geißelte die „Politik der totalen Entmoralisierung“.

Rempeln, schimpfen, auf staatstragende Institutionen losgehen: Was normalerweise Oppositionsparteien tun, erledigt im Österreich des Jahres 2018 die Regierung.

Dass die Sozialdemokrat*innen ihre neue Rolle noch nicht gefunden haben, wie es allenthalben heißt, muss einen nicht wundern. Rempeln, schimpfen, auf staatstragende Institutionen losgehen: Was normalerweise Oppositionsparteien tun, erledigt im Österreich des Jahres 2018 die Regierung. Für die wirkliche Opposition ist das ein kaum lösbares Dilemma. Regt sie sich auf, macht sie sich zum willkommenen Feindbild und hat im gegenwärtigen medialen Klima kaum die Mittel, sich vernehmlich zu wehren. Bleibt sie still, führen die Regierenden das große Drama ganz alleine auf.

Wöchentlich spielt die große Orgel die „Schließung einer neuen Fluchtroute“. Die Tuba bläst gegen „Sozialleistungen für solche, die nie ins System eingezahlt haben“. Die Streicher geigen das Largo von der gescheiterten Integration. Während die Pauke den „Führerschein auf Türkisch“ erledigt, lockt die Schalmei mit der Doppelstaatsbürgerschaft für Südtiroler. Die Medien greifen dazu allegro in die Tasten: Mangels anderslautender Erzählungen halten sie sich fast alle an die Partitur der Regierung.

Die Agenda sei neoliberal, nur die Begleitmusik sei ausländerfeindlich: Das ist das neue Narrativ der SPÖ, und in der Sicht sind die Sozialdemokrat*innen sich über die Flügel hinweg einig. Uneinig sind sie darüber, ob sie im großen Orchester, als zweite Geige sozusagen, mitspielen sollen oder im Publikum sitzen und pfeifen. Es ist nach allgemeiner Analyse ein Problem zweiter Ordnung. „Spätestens wenn im Herbst die Pläne für die Mindestsicherung auf den Tisch kommen“, so die Erwartung eines reflektierten linken Parteimitglieds, „wird wenigstens in der Wählerschaft der FPÖ das große Rumoren beginnen.“ Werde gleichzeitig oder kurz darauf die Notstandshilfe abgeschafft, würden die Perspektiven der Sozialministerin Beate Hartinger-Klein, 150 Euro zum Leben, „für sehr viele Menschen eine ganz reale Bedrohung“.

Ob das Szenario so eintritt, steht dahin; mit ähnlichem Recht könnte man befürchten, dass die Rechte im Herbst bei der Emotionalisierung gegen „Fremde“ einfach noch ein Schüppchen zulegt. Über die eingebildeten Bedrohungen aber wird in der SPÖ, je näher man der Basis kommt,  umso eiserner geschwiegen. „Bei dem Thema können wir nichts gewinnen“: Fragt man in diesen Tagen Sozialdemokrat*innen, wie ihre Partei sich zum allgegenwärtigen Gerede über Flucht und Migration stellen soll, ist der Satz die mit Abstand meistgehörte Antwort. Die Methode der Regierung, sich immer neue Schikanen und Mobbingsprüche gegen Zugewanderte einfallen zu lassen, funktioniert – noch. In den Umfragen verfügt die regierende Rechte über eine satte Mehrheit.

Anders als Kerns Worte erwarten lassen, versucht die Partei bis zum erhofften Themenwechsel im Herbst die SPÖ sich in der Flüchtlings- und Ausländer*innenfrage bis in die Spitze hinein durchzulavieren. Die große Mehrheit der Partei wenigstens: Nur die Minderheit um den burgenländischen Landeshauptmann Hans Niessl und seinen designierten Nachfolger Doskozil glaubt allen Ernstes, die Sozialdemokrat*innen könnten bei Abschottung und Ausländer*innenfeindlichkeit mit der Rechtsregierung in einen Wettstreit eintreten. Dass Doskozil seinen sommerlichen Frontalangriff plante, dass Niessl die Regierung erst Ende Juli von rechts angriff, vor „40, 50 Asylanten“ warnte, die noch immer täglich ins Land kämen, und von angeblich 250.000 „Illegalen“ im Lande sprach, hält die Parteiführung eher für eine Bestätigung ihrer These: Im Grunde ist es egal, was wir dazu sagen. Tatsächlich waren die Medien von dem Vorstoß mehr irritiert als elektrisiert.
Asyl ist tatsächlich ein Rand- und Nebenthema, gerade auch innerhalb der SPÖ. Und besonders in Wien: Eine Debatte um Migration kann der neue Bürgermeister Michael Ludwig jetzt am wenigsten brauchen; ihm geht es darum, die ohnehin misstrauische Partei zusammenzuhalten. Was hilft, ist ein Arbeitskreis. Doskozil soll bis zum Herbst mit seinem liberaleren Widerpart Peter Kaiser in Kärnten eine Strategie zur Asylpolitik ausarbeiten. Erwartet werden weder große Ideen noch große Resonanz.

Doskozil soll bis zum Herbst mit seinem liberaleren Widerpart Peter Kaiser in Kärnten eine Strategie zur Asylpolitik ausarbeiten. Erwartet werden weder große Ideen noch große Resonanz.

Doskozil hält an der alten Devise „Gesetze statt Hetze“ fest, mit der die Partei schon vor Jahrzehnten vergeblich dem Aufstieg der radikalen Rechten Einhalt gebieten wollte. Aber das Doppelspiel von Hetze und deren gesetzlichem Nachvollzug gelingt der Regierung ganz ohne Zutun der Sozialdemokrat*innen.

Uneins ist man sich an der Basis eher darin, ob man lieber mit der ÖVP oder mit der FPÖ koalieren sollte – eine inzwischen rein akademische Frage. Über die Tagespolitik aber, darüber, was bis zum erhofften Wetterwechsel geschehen soll, sind die Flügel der Partei in Ratlosigkeit vereint. Sachlich gegenhalten? Draufschlagen? Und wenn ja, von wo? Die Unsicherheit ist in den täglichen Presserklärungen der Partei nachzulesen. Mal empfiehlt Bundesgeschäftsführer Max Lercher, Agrarsubventionen für „Adel und Großbauern“ abzubauen und das Geld lieber zum Aufbau von Frontex zu verwenden. Ein anderes Mal verfällt der Ausputzer der Partei in Vorstadtkneipenton oder steckt den EU-freundlichen ÖVP-Mann Othmar Karas in einen Sack mit dem europafeindlichen Harald Vilimsky von der FPÖ. Dann wieder sucht der Steirer einen originellen Dreh und entschuldigt sich „bei allen Österreicherinnen und Österreichern“ für seine Bundeslandsleute in der Regierung. Aber Lercher ist es nicht allein. Heute warnt der Verfassungssprecher der Partei vor einem „großen Angriff auf die liberale Demokratie“. Morgen meint der Verkehrssprecher, Tempo 140 auf der Autobahn sei „keine intellektuelle Meisterleistung“. Ist es ernst, was die Regierung da treibt? Oder alles nur Ablenkung? Das Rätselraten umfasst alle Flügel der Partei.

In sich schlüssig erscheinen nur die Vorlagen der Regierung, nicht die Opposition dagegen. „Ich habe nichts zu verschenken“: Die heimliche Parole der neuen Regierung, formuliert von den Werbeagentur des Niki Lauda, umschließt treffend Hetze und Sozialabbau und bedient so zu gleichen Teilen die ÖVP und die FPÖ sowie deren Wähler*innen.

„Ich habe nichts zu verschenken“: Die heimliche Parole der neuen Regierung, formuliert von den Werbeagentur des Niki Lauda, umschließt treffend Hetze und Sozialabbau und bedient so zu gleichen Teilen die ÖVP und die FPÖ sowie deren Wähler*innen.

Dass Hetze und Gesetze gegen Zugewanderte und Flüchtlinge keine Ablenkung vom, sondern gerade erster Schritt zum und Einübung in den Sozialabbau sein könnten, ist in der SPÖ noch nicht Gemeingut. Bewahrheitet sich die Befürchtung, haben die Sozialdemokrat*innen mit ihrem Schweigen zum Asylthema nicht nur nichts gewonnen, sondern viel verloren.

Gegnerschaft und sogar Kampfbereitschaft gibt es dabei durchaus – wie sich bei der großen Demo gegen den Zwölfstundentag Ende Juni gezeigt hat. Parteiuntergliederungen melden einen Zulauf neuer Mitglieder. „Es gäbe wahrscheinlich sogar genug Jüngere, die von Tür zu Tür gehen würden und Debatten führen“, sagt ein Kenner der Wiener Parteiszene. „Nur“, dämpft er die Hoffnung gleich wieder,  „wüssten sie nicht, was sie da sagen sollten.“

In Rudolfsheim-Fünfhaus, in Favoriten oder dem Grazer Stadtteil Gries würden sozialdemokratische Werber*innen an mindestens jeder zweiten Tür ein türkisches, serbisches oder bosnisches und immer wieder ein arabisches Klingelschild finden. An Menschen, die sich vor Sozialabbau fürchten und mobilisierbar wären, würde es nicht mangeln. Nur mit der These, dass die Ausländer*innenhetze vom eigentlichen Thema nur ablenkt, wäre an diesen Türen wohl kein Schnitt zu machen.