IN WORTE FASSEN

Interview, Stimmen aus der Krise, Stimmen gegen die Krise

Stimmen aus der Krise, Stimmen gegen die Krise – 10

Schreiben kann auf vielen Ebenen eine Herausforderung, Berufung, Qual wie Erleichterung, therapeutisches Element oder Vergnügen sein. Sich schriftlich ausdrücken zu können, ist eine der ultimativen Fähigkeiten, die es innerhalb unserer Gesellschaft zu erwerben gilt. Es ist nichts, was einem zufliegt und motivierende Lehrer*innen sind im Bedarfsfall rar gesät. Astrid Wlach ist eine davon. Seit 2019 arbeitet sie als Trainerin im Bildungsbereich, wo sie auch einen Schreibworkshop leitet, an dem Menschen mit völlig unterschiedlichen Lebens- und Lernsituationen wie Motivationen teilnehmen.
Einige der in diesem Workshop entstandenen Texte werden in den nächsten Ausgaben des ausreißer abgedruckt werden. Die Reihe „In Worte fassen lernen“ startet mit einem Text „Corona ist bei mir daheim“ in Ausgabe #95 „Raum öffnen“.

TATsachen.at: Du hältst als Trainerin Kurse und Workshops zu Schwerpunkten wie digitale Bildung und Gender, aber auch Schreibworkshops für Menschen mit besonderen Bedürfnissen – worum geht es dabei?

Astrid Wlach: Unsere Teilnehmenden sind Menschen, die aufgrund Ihrer Behinderungen Ihren Platz in der Arbeitswelt noch nicht gefunden haben. Wir haben Rollifahrer*innen, Menschen mit Sehschwächen, Blinde sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten und Autist*innen, Menschen mit Down-Syndrom. Das Ziel ist, ihnen das nötige Rüstzeug mitzugeben, um auch in der Berufswahl und Jobsuche so unabhängig wie möglich zu sein.

Beim Schwerpunkt Gender geht es um Sensibilisierungen, Awareness. Die Stärkung von Frauen ist im Sinne eines intersektionalen Ansatzes gerade in unserem Bereich sehr wichtig. Es gibt aber im Übrigen auch ein “Männermodul”.

Mit welchen Unterrichtsmethoden arbeitet ihr in den Workshops und welche Ziele sollen damit erreicht werden?

Das lässt sich nicht über einen Kamm scheren, da wir sehr individuell arbeiten. Ich arbeite so, dass es ein bestimmtes Thema gibt, aber die Methoden richten sich dann nach den Möglichkeiten der Teilnehmenden.

Meine Kolleginnen haben derzeit Lernziele gesetzt, die dabei helfen sollen, mit der Covid-19-Pandemie umgehen zu lernen und sich ihrer bewusst zu sein. Es geht u. a. darum, die eigene Wahrnehmung zu reflektieren, also was hat sich verändert, wie sehen meine Lebensumstände derzeit aus, usw. Momentan findet der Austausch via Videokonferenz statt, das heißt, wir versenden die Arbeitsaufträge via E-Mail in „LL Sprache“ (Anmerkung: Leicht verständliche, barrierefreie Sprache), wir geben Anregungen und Tipps, wie man seinen Arbeitsplatz einrichtet usw. und natürlich sind wir auch via Telefon da, um den Austausch zu erleichtern.

Habt ihr das Gefühl, dass ihr euren Teilnehmer*innen über das Schreiben konkret helfen konntet, mit der neuen Situation umzugehen?

Ja, ich denke schon, dass das Ausformulieren dabei geholfen hat, sich die eigene Situation zu verdeutlichen. Sichtbarmachung von Situationen, benennen von Gefühlen kann dabei helfen, diese zunächst einmal klarer zu sehen, was wiederum ein erster Schritt zur Bewältigung von Ängsten sein kann. Wobei wir natürlich keine Psycholog*innen sind und nicht interpretieren.

Es war meinen Kolleginnen und mir auch wichtig, zu erfahren, wie es unseren Teilnehmenden tatsächlich geht und wer besondere Unterstützung benötigt.

Digitale Bildung ist ein Feld, das mit der Covid-19-Krise sprunghaft an Bedeutung gewonnen hat. Auch ihr arbeitet derzeit viel mit Videokonferenzen. Welche digitalen Angebote werden von euch sonst noch genutzt, unabhängig von Corona?

Menschen mit Behinderungen können durch ergänzende digitale Angebote sehr profitieren. Ein Beispiel: Tablets können trotz Muskelkoordinationsproblemen oder Sehschwächen gut genutzt werden, weil die Touchbedienung sich individuell einstellen lässt oder die Texte sich leicht größer zoomen oder vorlesen lassen. Digitale “Klassenzimmer” bieten wiederum die Möglichkeit, das Unterrichtsmaterial aufzubereiten, die Teilnehmenden selbst lernen zu lassen und im Modul dabei zu begleiten und zu unterstützen. Das Interessante im Bereich der digitalen Bildung sind also nicht nur Inhalte, sondern auch Methoden selbst und ihre individuelle Anwendbarkeit.

Wie habt ihr als Trainer*innen nun speziell auf die krisenbedingte Umstellung reagiert?

Sie haben sehr unterschiedlich auf die Angebote reagiert. Für manche war der digitale Unterricht zu Hause ein Vorteil, weil der Trubel vor Ort manchmal überfordernd sein kann. Manche waren nach den ersten Wochen wieder im Haus. Für andere wieder ist die ungewohnte Struktur der gestaffelten Beginn- und Pausenzeiten, die Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht eine große Herausforderung. (1)

…und die Teilnehmer*innen?

Sie haben sehr unterschiedlich auf die Angebote reagiert. Für manche war der digitale Unterricht zu Hause ein Vorteil, weil der Trubel vor Ort manchmal überfordernd sein kann. Manche waren nach den ersten Wochen wieder im Haus. Für andere wieder ist die ungewohnte Struktur der gestaffelten Beginn- und Pausenzeiten, die Hygienemaßnahmen und Maskenpflicht eine große Herausforderung. 

Was waren die ersten Reaktionen, die dich erreicht haben, als klar wurde, dass es einen Lockdown geben wird?

Die ersten Reaktionen unserer Teilnehmer*innen waren eigentlich sehr gefasst – irgendwie waren alle erleichtert, dass die Anspannung aufgrund der Unklarheit, die vor dem Lockdown geherrscht hat, fürs Erste gelöst war. Zu Hause wurden alle gut betreut und von uns mit Aufträgen versorgt. Die Angst war im Hintergrund immer spürbar, bei einigen Teilnehmer*innen waren auch die Eltern sehr ängstlich. Die Sprache, die bei den laufenden Pressekonferenzen verwendet wurde, war nicht immer hilfreich, ihnen diese Angst zu nehmen.

Wir verarbeiten die Situation gerade in einem Stop-Motion Projekt (2), darin wird der Virus etwa durch Geräusche, die ein Wal macht, vertrieben! 🙂 Ich versuche, den Virus als Gestalt in Geschichten sichtbar zu machen, so können unsere Klient*innen ihn vertreiben, töten, was auch immer!

In der Zwischenzeit ist das Thema wieder in den Medien, aber im Gegensatz zur ersten Zeit gibt es das Gefühl, etwas dagegen tun zu können!

1Filmtechnik; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Stop-Motion

Was hast du/habt ihr aus dieser Zeit mitgenommen?

Vieles ist aus dieser Zeit mitzunehmen: Da gibt es den inhaltlichen Bereich der Bildung: Hier hat sich zum Beispiel der Schwerpunkt der Kommunikation von der mündlichen auf die schriftliche Ebene verlagert. Dadurch profitieren Teilnehmer*innen, die sich fast nie zu Wort melden und die ich dadurch erst besser kennengelernt habe. 

Da gibt es viele Beispiele und ich finde, eine Lehre daraus könnte sein, dass Menschen mit Behinderungen auch ihren Platz im Konjunkturpaket bekommen.

Dann gibt es den strukturellen Bereich der Menschen mit Behinderungen/persönliche Assistenz: Hier hat sich, wie im gesamten Sozialbereich, gezeigt, wo es im System schon lange hakt. Es ist mit völlig unverständlich, wie die Probleme in diesem Bereich – auf den jeder und jede irgendwann einmal im Leben angewiesen ist – so unter den Teppich gekehrt werden konnte. Kurzarbeit für persönliche Assistenz? Das bedeutet, dass Menschen, die darauf angewiesen sind, plötzlich selbst sehen müssen, wie sie zurecht kommen. Da gibt es viele Beispiele und ich finde, eine Lehre daraus könnte sein, dass Menschen mit Behinderungen auch ihren Platz im Konjunkturpaket bekommen.

Da kann ich nur zustimmen; ich hoffe, dass dieser einer der (vielen dringenden) Punkte sein wird, bei dem die Regierung eine Konsequenz aus der Covid-19-Krise ziehen wird, damit alle Bürger*innen in Zukunft besser abgesichert leben können.

Danke für das Gespräch!

Astrid Wlach, Trainerin, Lernende, Feministin
Trainerin im Bildungsbereich. Schwerpunkte digitale Bildung, Awareness für Menschen mit Behinderungen. Individuelles Diplomstudium.
Mutter von drei Kindern.

1 Anmerkung: die Kurse finden bei atempo statt, einem inklusiven Sozialunternehmen, das in Graz angesiedelt ist.

2 Filmtechnik; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Stop-Motion