BRÜCKE OHNE KOPF

Hintergrund

Österreich ist in der Europa- und Außenpolitik konzeptionslos – das aber ganz entschieden

Ein „höfliches Njet“ habe Außenministerin Karin Kneissl sich in Moskau für ihr Angebot geholt, in der Syrien-Frage zwischen Ost und West zu vermitteln, schrieb der „Kurier“; eine „sanfte Abfuhr“ nannte es die „Presse“. Aber von höflich oder sanft keine Spur. Der russische Außenminister Sergej Lawrow las von seinem Zettel ab und leierte herunter, dass man heuer „den 50. Jahrestag der Erdgas-Zusammenarbeit mit Österreich“ feiere und dass man gern auch die „kulturellen und humanitären Bande zwischen unseren beiden Ländern festigen“ wolle. Bleich, kleinlaut und ein bisschen fahrig saß Außenministerin Karin Kneissl neben ihrem Kollegen Sergej Lawrow. Nicht das kleinste Lächeln glitt dem soignierten Diplomaten über das Pokerface. Verstohlener Blick aufs Smartphone, kurzer Händedruck, das war’s.

Kneissl, noch sichtlich gezeichnet von dem unerfreulichen Gespräch, musste mit anhören, wie der russische Außenminister erst auf eine Journalistenfrage hin den Zweck ihrer Mission überhaupt erwähnte – um das Ansinnen dann brüsk zurückzuweisen. Kneissl blieb nur übrig, auf Wien als angenehmen Konferenzort hinzuweisen. Der Manager des Hilton Vienna Plaza besser wäre auf die Aufgabe besser vorbereitet gewesen.

Über Monate hatte Kanzler Sebastian Kurz die „Brückenfunktion“ Österreichs „zwischen Ost und West“ in die Welt trompetet, sein Land vorsorglich schon einmal zur „Drehscheibe“ erklärt, Wladimir Putin die Hand geschüttelt und den Eindruck erweckt, die „Vermittlung“ sei schon voll im Gange. Dass aber solchen Missionen im Normalfall wochenlange Sondierungen vorausgehen, war den Österreichern entweder unbekannt oder egal. Statt zu sondieren, entzog sich Wien lieber dem Druck aus der EU, nach dem Giftanschlag auf den britischen Spion Sergej Skripal russische Diplomaten auszuweisen – und hoffte auf Dankbarkeit in Moskau.

Schwerer als der diplomatische Patzer wiegt, dass Kneissl und Kurz die russischen Interessen gründlich fehlanalysiert hatten. In Syrien sind Russland und die Türkei, Saudi-Arabien und der Iran die Player, auf die es ankommt. „Der Westen“ in Gestalt von Donald Trump schafft es nicht einmal mit politisch wirkungslosen Luftschlägen, sich ins Spiel zu bringen – geschweige denn mit einer Vermittlungsmission. Assad steht vor einem militärischen Sieg, und in der Ukraine hat Moskau alle Trümpfe in der Hand.

Die angekündigte Brückenfunktion kann Österreich schon deshalb nicht erfüllen, weil es weder auf dem einen noch auf dem anderen Ufer an den Brückenkopf heranreicht. Die EU-Sanktionen gegen Russland in Frage zu stellen, traut Kanzler Kurz sich nicht – auch mit Blick auf den Aufstand, den das etwa in Polen auslösen würde. Mit Macron für ein selbstbewusstes Europa streiten mag Wien aber ebenso wenig – mit Rücksicht auf sentimentale Sonderbeziehung, die es mit Moskau pflegt. So hat Wien nach dem peinlichen Kneissl-Besuch in Moskau und Kurzens Visiten bei Putin, Viktor Orbán und dem Papst seinen Platz gefunden. Auf der Schiffsschaukel: Mal auf die eine Seite, mal auf die andere, nur nirgendwo andocken.

Das nächste Debakel droht in der EU, deren Ratspräsidentschaft Wien am 1. Juli übernimmt. Österreich müsse auch einmal positiv sagen, was es denn eigentlich wolle, statt immer nur dagegen zu sein, hielt schon ein wenig amüsierter Emmanuel Macron seinem jüngeren Kollegen bei dessen Antrittsbesuch im Jänner vor. So harmonisch, wie Bundeskanzler Sebastian Kurz sein Treffen mit dem französischen Präsidenten dargestellt hat, ist es nach Auskunft gut informierter Diplomaten nicht verlaufen. Ein Nein aus Wien bekam nicht nur Macron für seine Pläne einer europäischen Wirtschaftsregierung. Nein sagt Österreich auch zu den Plänen der EU-Kommission für den neuen siebenjährigen Finanzrahmen, der morgen vorgestellt und dann während der österreichischen Präsidentschaft verhandelt werden soll.

Nach einer positiven Antwort gefragt, führen Kurz wie Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Begriff der Subsidiarität ins Feld. Aber „mehr Subsidiarität“ bedeutet nur: weniger Solidarität.

Nach einer positiven Antwort gefragt, führen Kurz wie Vizekanzler Heinz-Christian Strache den Begriff der Subsidiarität ins Feld. Aber „mehr Subsidiarität“ bedeutet nur: weniger Solidarität. „Wenn die EU kleiner wird, kann es nicht sein, dass das Budget größer wird“, verkündete Kurzens Kanzleramtsminister Gernot Blümel aus Anlass des Wien-Besuchs von Kommissions-Vize Günther Oettinger. Wenige Tage später dann versprach Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger den österreichischen Bauern, dass ihre Subventionen auch künftig in voller Höhe erhalten bleiben.

Weniger zahlen, mehr kassieren: Nach dem Brexit schickt Österreich sich an, vom scheidenden Königreich die Rolle des bockigen Außenseiters zu übernehmen. Wieder geht Wien weder mit Frankreichs Wünschen nach politischer Vertiefung überein, noch folgt es dem Ruf nach mehr – oder wenigstens nicht weniger – Ausgleich zwischen reichen und armen Mitgliedsstaaten, wie er aus dem Osten kommt. Die enge Allianz mit Berlin, wie Kurz‘ Vorvorgänger sie pflegte, ist in der Flüchtlingskrise zerbrochen. Jetzt zeigt sich: Österreich ist, anders als die Ost- und die Südstaaten, in der Union kaum vernetzt.

Solche Blockfreiheit wäre nicht unbedingt ein Fehler – wenn das neue Wien für eine echte Vermittlerrolle das politische Gewicht mitbringen würde. Davon aber kann keine Rede sein. Zwar versicherte der Kanzler im Februar in Gestik, Mimik und Wortwahl das Publikum auf der Münchner Sicherheitskonferenz, Österreich wolle sich „entschieden“ an einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beteiligen.

Mit konkreten Ideen oder gar finanziellen Zusagen wartete Kurz aber nicht auf. Konkret wird Wien nur bei Kürzungen

Mit konkreten Ideen oder gar finanziellen Zusagen wartete Kurz aber nicht auf. Konkret wird Wien nur bei Kürzungen: Für weniger Familienbeihilfe in östliche Mitgliedsländer gibt es schon einen Gesetzentwurf. Selbst zum Kernanliegen der nationalen Außenpolitik, der Heranführung Südosteuropas an die EU, hat die neue Regierung bisher nichts beigetragen, konstatieren die drei außenpolitischen Experten Helmut Kramer, Gaby Matzner und Peter Steyrer in einem gemeinsamen Aufsatz.

Für europa- und außenpolitische Initiativen darüber hinaus stellt Österreich einfach keine Mittel bereit. Auch keine personellen: Dass Europapolitik „Chefsache“ und jetzt statt bei der Außenministerin beim Kanzler angesiedelt ist, ist mit keiner Aufwertung verbunden. Minister Blümel hat als Regierungskoordinator und Wiener ÖVP-Obmann auch ohne Europa genug zu tun. Der auswärtige Dienst ist ausgedünnt und wird wesentlich von Praktikanten bestritten. Von „blamabler Dürftigkeit der außenamtlichen Ressourcen“ sprechen Kramer, Matzner und Steyrer: Für den Westbalkan, Österreichs „Schwerpunktregion“, ist im Wiener Außenministerium ein einziger Diplomat zuständig, verstärkt durch einen Verwaltungspraktikanten. Selbst in EU-Ländern ist Wien nur mit örtlichen Honorarkonsuln vertreten. Die Beziehungen zu Nord- und Südamerika werden in Wien von ganzen drei Diplomaten gesteuert. Die Botschaft in Washington hat so viele Mitarbeiter wie die luxemburgische.

Dass man „Menschen in ihren Heimatländern helfen“ statt sie der Willkür von Schleppern ausliefern sollte, war schon das Mantra des jungen Außenministers Kurz. Die Parole gilt noch immer – obwohl sie sich täglich widerlegt. Von der Verdoppelung der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit, wie Kurz sie noch im Frühjahr 2016 in Aussicht gestellt hat, findet sich im Regierungsprogramm kein Wort. Eine Kürzung der Mittel für Wiens „Katastrophenfonds“ um ein Viertel, wie sie Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) vorgeschlagen hatte, bog Kurz ab – gerade rechtzeitig, bevor Österreichs Öffentlichkeit Kurz‘ Mantra als Schmäh erkannt hätte. Dabei verdient der Fonds die Prominenz, die er in Kanzlerworten und öffentlicher Diskussion bekam, überhaupt nicht. Die 20 Millionen Euro, die darin für weltweite Desaster zur Verfügung stehen, sind weniger, als was allein Tirol 2014 für Vermurungen und Hochwasserschäden bekam.

Geht es um internationale Zahlungen, galt in Wien schon zu Zeiten der Großen Koalition mit ihren VP-Außenministern das Motto „Unser Geld für unsere Leut‘“. An das Welternährungsprogramm (WFP) etwa, das die Flüchtlingslager in Jordanien alimentiert, hat Österreich 2017 unter der Ägide des Außenministers Kurz lächerliche 533.000 US-Dollar an Beiträgen gezahlt – so viel wie Nepal oder Sierra Leone. Liechtenstein überwies 402.000. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk, dem es im Jemen und in Syriens Nachbarländern so sehr an Mitteln fehlt, bekam aus Wien 9 Millionen Dollar, so viel wie aus Luxemburg und weniger als ein Zehntel dessen, was Schweden oder Norwegen zahlten.

Besonders absurd klingen Ankündigungen wie die von Kurz, Staaten, die ihre ausgewanderten Bürger nicht zurücknehmen, die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen. In die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten, auf die der Vorschlag gemünzt war, fließt aus Österreich nämlich kein Cent.

Besonders absurd klingen Ankündigungen wie die von Kurz, Staaten, die ihre ausgewanderten Bürger nicht zurücknehmen, die Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen. In die Hauptherkunftsländer der Geflüchteten, auf die der Vorschlag gemünzt war, fließt aus Österreich nämlich kein Cent. Als „Entwicklungszusammenarbeit“ wird in Wien auch gerechnet, was die Regierung für die Flüchtlingshilfe im eigenen Land und sogar, was sie für ausländische Studenten ausgibt – gerne aus Bosnien oder Serbien, Ländern, in denen Österreich massive wirtschaftliche Interessen hat. „Phantomhilfe“ hat das Annelies Vilim vom Dachverband der Entwicklungshilfeorganisationen in Wien genannt: „So wird Österreich zum größten Empfängerland seiner eigenen Entwicklungsgelder.“

 

 

Foto: (c) Wiener Linien: Einsturz Reichsbrücke – Bergung; 5. August 1976