VERDREHTE FRONTEN

Hintergrund

Arbeitszeit ist für Regierung und Opposition ein gleichermaßen heikles Thema

Nach den Regeln des Niccolò Machiavelli macht die Regierung gerade einen Fehler: Die nötigen Grausamkeiten gehören am Anfang begangen. Wie grausam ihre Pläne zur Neuregelung der Arbeitszeit sind, wusste ausgerechnet Heinz-Christian Strache in den düstersten Farben zu schildern – vor der Wahl.

Wie grausam ihre Pläne zur Neuregelung der Arbeitszeit sind, wusste ausgerechnet Heinz-Christian Strache in den düstersten Farben zu schildern – vor der Wahl.

Der Zwölfstundentag sei eine „asoziale, leistungsfeindliche Idee“ schimpfte der Oppositionsführer, bevor er bei den Verhandlungen um das Regierungsprogramm auf die ÖVP-Linie einschwenkte.

Im Gleichklang mit langjährigen Forderungen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer will die Regierung die tägliche Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden und die wöchentliche auf sechzig erhöhen.

Im Gleichklang mit langjährigen Forderungen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer will die Regierung die tägliche Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden und die wöchentliche auf sechzig erhöhen.

Es geht dabei allein um die Verteilung von Arbeit; an der durchschnittlichen Normalarbeitszeit soll sich nichts ändern.

Kaum ein Punkt im Regierungsprogramm ist so detailliert ausverhandelt. Dass es noch keinen Entwurf gibt, liegt jedoch nicht an etwaigen Skrupeln des Vizekanzlers. Es ist auch nicht bloß Taktik; hinter den Kulissen wird vielmehr gestritten. Es geht dabei nicht bloß um Popularität. Das Thema ist vielmehr gefährlich, denn es entzweit vielmehr die Wählerschaft so gut wie aller Parteien. Da weiß man in Wien noch nicht so recht, was man sich zutrauen darf oder soll.

Natürlich haben Betriebe ein Interesse daran, ihre Beschäftigten in Stoßzeiten länger arbeiten zu lassen und zu Stehzeiten nach Hause zu schicken. Die Gewerkschaften wenden gegen das Vorhaben zu Recht ein, dass die Freiwilligkeit flexibler Arbeitszeitmodelle immer eine relative ist; letztlich geben betrieblicher Erfordernisse den Takt vor. Ebenfalls zu Recht weisen sie darauf hin, dass man, wenn etwa ein eiliger Auftrag vorliegt, auch jetzt schon zwölf Stunden täglich arbeiten lassen kann. Nur muss man dann eben Überstundenzuschläge zahlen, die bei einem flexibleren Gleitzeitmodell  nicht anfallen.

Aber es geht um mehr als um Geld. Österreich arbeitet schon jetzt ziemlich viel: Die tatsächliche Wochenarbeitszeit erreicht mit 41,6 Stunden in Europa einen Spitzenplatz. „Noch auffälliger ist der gespaltene Arbeitsmarkt“, erklärt Markus Koza von unabhängigen Gewerkschaftern im ÖGB. Nirgends wird so viel Teilzeit gearbeitet, und nirgends werden so viele Überstunden gemacht.

Österreich arbeitet schon jetzt ziemlich viel: Die tatsächliche Wochenarbeitszeit erreicht mit 41,6 Stunden in Europa einen Spitzenplatz. … Nirgends wird so viel Teilzeit gearbeitet, und nirgends werden so viele Überstunden gemacht.

Die Statistik ist das Abbild eines ganzen Lebensmodells. Teilzeit ist weiblich; 48 Prozent der Frauenarbeiten weniger als die Normalarbeitszeit. , Überstunden sind männlich. Christian und Katharina, wie wir die idealtypischen Adepten des Modells nennen wollen, praktizieren es überzeugt und selbstbewusst. Christian arbeitet bei einem „hidden champion“ in der Bezirksstadt, einem der vielen mittelständischen Betriebe, die es in einem schmalen, hoch technisierten Segment zum Weltmarktführer gebracht haben. Katharina ist Sachbearbeiterin bei der Gemeinde. Er verdient doppelt so viel wie sie. Als das erste Kind kam, ist Katharina für drei Jahre in Karenz gegangen; inzwischen kam das zweite, so dass aus den drei Jahren fünf wurden. Danach ging es in Teilzeit weiter.

Christian hat unterdessen geschuftet wie ein Pferd. Zwölfstundentage sind ihm allerdings nur recht. Früher war es so, weil er nur drei oder vier Tage in der Woche arbeiten musste und den Rest der Zeit auf dem Bau des Einfamilienhauses zubringen konnte. Heute ist es so, weil er mit Überstunden das Geld verdient, das beide für ihren Kredit brauchen. Natürlich hätte Christian gern die Zuschläge, die nach den Vorstellungen der Koalition fallen sollen. Aber wichtiger ist ihm, dass überlange Arbeitstage nicht mehr nur bei andernfalls drohenden „unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteilen“, mit „Sondervereinbarung“ und „medizinischer Unbedenklichkeitsbescheinigung“ erlaubt sind. Sie sollen normal werden. Der Bankkredit fürs Eigenheim fordert seinen Tribut. Auch als Pendler hat Christian ein Interesse an langen Arbeitstagen; je länger er abwesend ist von zu Hause, desto größer ist der Anteil der Zeit, den er bezahlt bekommt.

An dem neokonservativen Lebensentwurf, wie er in weiten Teilen der ländlich-kleinstädtischen Arbeitnehmer*innenschaft gelebt wird, hängen überdies hohe gesellschaftliche Folgekosten.

An dem neokonservativen Lebensentwurf, wie er in weiten Teilen der ländlich-kleinstädtischen Arbeitnehmer*innenschaft gelebt wird, hängen überdies hohe gesellschaftliche Folgekosten.

Christian und Katharina haben zum Beispiel auf dem Dorf gebaut – oder besser: nahe dem Dorf -, da, wo der Grund billig war. Teuer war das allerdings für die Gemeinde, die für Kanal, Zufahrt, Versorgungsleitungen zu sorgen hatte. Von da, wo sie wohnen, kommen die beiden nur mit dem Auto weg. Mit zwei Autos, genauer gesagt.

Das Modell von Christian und Katharina ist gesellschaftlich anerkannt und politisch unantastbar. Mehrheitsfähig aber ist es nicht. Die Gewerkschaften wissen das, streiten für kürzere Wochenarbeitszeiten und gegen Überstunden. Sie beobachten, dass die „Flexibilität“, die bei Christian so gut ankommt, anderswo absurde Blüten treibt. Von den sogenannten All-in-Verträgen etwa, mit denen jede Mehrarbeit schon vorab abgegolten ist und die eigentlich für das gehobene Management mit entsprechenden Gehältern und Boni erdacht wurden, wird inzwischen jeder fünfte im Niedriglohnsegment unter 1300 Euro abgeschlossen. Aber die Gewerkschaften dürfen auch Christian und Katharina nicht auf die Füße treten. Fahrradkuriere und prekär arbeitende Alleinerzieherinnen, die feste freie Tage und längere Kindergartenöffnungszeiten wollen, sind schwer zu mobilisieren. Und Christian wird für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewiss nicht streiken.

Doch auch die Regierung muss sich vorsehen. Mit dem Schlachtruf “Zwölfstundentag!“ lassen sich keine Stimmen fangen; mindestens in Umfragen ist ÖVP und FPÖ öffentliche Ablehnung sicher. Hinhaltenden Widerstand leisten vor allem die „schwarzen“ Gewerkschafter*innen in Tirol und Vorarlberg – während die „Blauen“ in ÖGB und Arbeiterkammer, die nur in einzelnen Sparten aktiv und in den Betrieben wenig verankert sind, der Regierung die Mauer machen. Bis alle aus der Deckung kommen, kann es noch eine Weile dauern.