NEWSTICKER 02.06.2018 – EXISTENZ SICHERHEIT

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Schwarzblau macht arm

Ein paar Richtigstellungen sollen an dieser Stelle vorgenommen werden: Nein, die Regierung plant betreffend Mindestsicherung keine Reform. Eine solche wäre, laut Duden, eine „planmäßige Neuordnung, Umgestaltung, Verbesserung des Bestehenden (ohne Bruch mit den wesentlichen geistigen und kulturellen Grundlagen)“. Das hieße in Bezug auf die Mindestsicherung eine Verbesserung der Versorgung aller Menschen, besonders jener mit den niedrigsten oder gar keinen Einkommen, zudem die Schaffung von Sicherheit – persönlicher, gesellschaftlicher und politischer. Schwarzblau macht von alledem gerade das exakte Gegenteil: Die Regierung betreibt die gezielte Schaffung von Armut.

Die Regierung betreibt die gezielte Schaffung von Armut.

Der bundesweite Maximalbetrag (!) für die Mindestsicherung, die den Namen damit endgültig nicht mehr verdient, ist mit € 863,04 angesetzt, darunterliegenden Abweichungen in den Bundesländern (Spielraum bei Einberechnung der Wohnkosten) sind, je nach politischer Präferenz, möglich und erwartbar. Zum Vergleich: Die aktuelle Armutsgefährdungsschwelle in Österreich liegt bei € 1.185. Bereits jetzt sind 18 % der Bevölkerung (1.542.000 Menschen) armuts- oder ausgrenzungsgefährdet (d. h. das Einkommen liegt unter der Armutsschwelle bzw. die Menschen leben in Haushalten mit so geringem Einkommen, dass die wesentlichen Güter bzw. Lebensbereiche nicht leistbar sind – z. B. Waschmaschine, Handy, Heizkosten, ein Mal im Jahr auf Urlaub zu fahren, unerwartete Ausgaben unter 1.050,- Euro). Am stärksten betroffen sind Nicht-ÖsterreicherInnen, Langzeitarbeitslose, AlleinerzieherInnen und Familien mit 3 oder mehr Kindern. Genau diese Bevölkerungsschichten – und, anders als von den Verantwortlichen behauptet, noch viele mehr – werden nun weiter in den Abgrund getrieben. Dies bedeutet das bewusste Herbeiführen von Armut und Elend – heute, im Jahr 2018, mitten in Europa.

Doch selbst für dieses Mindestmaß unter dem Mindestmaß für Leben und Überleben werden noch Voraussetzungen und Bedingungen geltend gemacht. Eine davon ist der sogenannte „Arbeitsqualifizierungsbonus“. Die „Arbeitsplatzqualifizierung“ besteht in einem österreichischen Pflichtschulabschluss. Eine syrische Akademikerin erfüllt diese Voraussetzung ebenso wenig wie ein österreichischer Schulabbrecher. Der „Bonus“ ist aber tatsächlich ein Malus, denn selbst bei Erfüllung der Voraussetzung wird die ausgezahlte Summe nicht erhöht, sondern umgekehrt bei Nichterfüllung verringert. Das macht dann ganze € 300,- weniger, weniger als das Minimum unterm Minimum – € 563,04 pro Monat. Arbeitsqualifizierung als Lebensberechtigung – das hatten wir schon mal …

Arbeitsqualifizierung als Lebensberechtigung – das hatten wir schon mal …

Alternative Voraussetzung: Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1. Um diese zu erlangen, braucht es zumindest 1,5 Jahre intensiven Lernens und dafür wiederum entsprechende Bedingungen. Aber: Die Regierung hat eben massiv Gelder für Integrations- und Sprachförderungen gekürzt. Aktuell läuft zudem eine Abschiebewelle, die vor allem jene aus dem Land wirft, die diese so vehement geforderten Voraussetzung voll und ganz erfüllen, also sehr gut Deutsch können. Denn genau diejenigen, die am besten „integriert“ sind (was gerade von Rechts immer und immer wieder von Migrant*innen zu sein verlangt wurde), also mitunter jahrelang und meist mit Familie in Österreich leben, sind auch am leichtesten aufzugreifen – und zu deportieren.

Für Menschen, die in Österreich Anrecht auf subsidiären Schutz haben, sowie für Menschen im Asylverfahren, wird der Zugang zu Mindestsicherung überhaupt verunmöglicht. Bleibt die „Grundversorgung“ mit 365 Euro im Monat. Aber selbst über deren Zuerkennung gibt es von Regierungsseite keine Aussage.

Wer nun mit Einzahlen (respektive „Zuwandern“) in den Sozialstaat und etwaigen fehlenden Beträgen argumentiert: Mindestsicherung bedeutet weder Willkür noch Gnade, sondern die Umsetzung eines Grundrechts.

Mindestsicherung bedeutet weder Willkür noch Gnade, sondern die Umsetzung eines Grundrechts.

Denn ein existentielles Minimum an Versorgung, das ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, steht jedem Menschen, unabhängig von Alter, Herkunft oder gar ökonomischer Profiterzielung zu. Das nennt man Menschenrecht. Aber auch Verfassungsrecht – diesem entsprechen die neuen Restriktionen zwar ohnehin nicht, und das weiß die Regierung auch, aber sie lässt es, wie auch bei anderen Gesetzesänderungen, auf das langwierige Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ankommen. In der Zwischenzeit verschärft sich die Lage für die Betroffenen und für das ganze Land.

Vielleicht sollte darüber auch mal jemand nachdenken, der noch nie in seinem Leben einen Euro zweimal umdrehen musste, der aktuell ein Gehalt von 13.000 Euro netto pro Monat bezieht, das jener Staat und damit all seine Bürger*innen, bezahlt, den er gerade dabei ist, zu ruinieren und der bisher selbst noch keinen Cent in dessen Sozialsystem – wie von ihm und seinen rechten Kumpan*innen immer wieder gefordert – eingebracht hat, weil er vom Studienabbrecher unmittelbar in die öffentlich finanzierte Politkarriere gewechselt ist. Dieser Jemand heißt Sebastian Kurz und ist aktuell österreichischer Bundeskanzler.

Aber dieser Jemand hat bereits sehr genau darüber nachgedacht und weiß nur zu gut, was er tut: Seine Geldgeber*innen bedienen. Zu denen zählten schon im Wahlkampf u.a. diverse Immobilienunternehmer*innen.

Die 20 börsennotierten ATX-Konzerne zahlen heuer eine Rekordsumme von 2,8 Milliarden Euro an ihre Aktionär*innen aus, das sind um fast 28 Prozent mehr als letztes Jahr. Selbst jene Unternehmen, die Verluste erwirtschafteten, schütten überdurchschnittlich hohe Dividenden aus, dazu zählen SBO (ein Zulieferer für die Ölindustrie) und Immofinanz. Zur Erinnerung: Die Immofinanz ist tief in den BUWOG-Korruptionsskandal der ersten schwarzblauen Regierung verwickelt. Im jetzigen schwarzblauen Regierungsprogramm von Kurz & Co. sind wortgleich die Forderungen der Immobilienwirtschaft festgeschrieben. Diese werden auch schon fleißig bedient: So können seit letzter Woche Grundstücke via Holding-Konstruktion steuerfrei verkauft werden. Die Folge wird noch mehr Spekulation mit Wohnraum und damit noch höhere Miet- und Wohnkosten für alle sein.

Mindestsicherung bedeutet die Gewährleistung von Sicherheit – siehe Beginn dieses Textes. Und Sicherheit ist für Schwarzblau durchaus ein großes Thema. Allerdings beziehen sie sich damit ausschließlich auf eine schmale Elite sehr Vermögender, nicht zuletzt jenen in den oberen Konzernetagen.

Sicherheit ist für Schwarzblau durchaus ein großes Thema. Allerdings beziehen sie sich damit ausschließlich auf eine schmale Elite sehr Vermögender, nicht zuletzt jenen in den oberen Konzernetagen.

Für diese werden gerade weitere Sicherheiten geschaffen, denn sie werden künftig, wie gesagt, sicher sein können, noch weniger Steuern bezahlen zu müssen. Das wiederum schwächt jenen Staat, der per Gesetz für die Sicherheit aller verantwortlich ist.

Aber an welcher Sicherheit diese Regierung baut, geht aus jenem Teil der Strafrechts“reform“ hervor, der künftig jene, die für demokratische Rechte aufs Ganze gehen, zu Terrorist*innen vor dem Gesetz macht und damit aus dem Verkehr zieht, wo sie bei der planvollen Zerschlagung von Demokratie hinderlich wären. Denn bisher galt: Wer eine Tat verübt, um „demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse“ herzustellen oder wiederherzustellen, oder mit der Tat auf die „Wahrung von Menschenrechten“ abzielt, der kann dafür zwar bestraft werden, ist aber kein Terrorist. Diesen Passus will Schwarzblau streichen und baut damit nicht nur gegen drohenden Widerstand hierzulande vor, sondern setzt gleichzeitig den Schutz für Menschen aus diktatorischen Regimen außer Kraft und gefährdet NGOs. Das bedeutet tatsächlich Absicherung – von autoritären Strukturen.

Und für etwaige breite Massen, die sich absehbar aus vielen Einzelnen formiert und auf die Straße gehen, um für demokratische, gesetzliche, ökonomische, soziale und menschliche Sicherheit einzutreten, hat nicht zuletzt FP-Innenminister Kickl schon hoch zu Ross vorgesorgt. Mit sicherer Wirkung auf Basis von Bürgerkriegserfahrungen von 1934.

Überflüssig zu erwähnen, dass keiner der Protagonist*innen, die gerade Armutserzeugung durch Mindestsicherung betreiben, je selbst mit Armutsbedrohung konfrontiert war. Sehr wohl allerdings kennen sie die Auswirkungen – Destabilisierung, Zustimmung zur Ausweitung totalitärer Kontrollinstanzen, Erhöhung von exekutiver Gewalt und im sicheren Hintergrund die Verschiebung und Bindung von Kapital weg von der großen Mehrheit hin zur schon erwähnten schmalen Elite, mit deren Vertreter*innen man Hand in Hand leistungsstark Bereicherung auf Kosten aller vorsätzlich betreibt und begeht.

Auf der Titelseite der aktuellen Grazetta, jenes anzeigengetränkten Hochglanz-Gratisprintprodukts, das sich regelmäßig ungebeten vor Grazer Haustüren findet, sind rund um das Coverfoto des diesmal groß porträtierten Unternehmers folgende Titel weiterer Heftschwerpunkte zu lesen:

Unternehmen expandieren

Kirche feiert

Bundesheer rüstet auf

 

Erhellender lässt sich die aktuelle Lage wohl kaum zusammenfassen.

 

 

 

Foto (groß) (c) annette-fischer-498468-unsplash.