DIE ADMINISTRATION DES KLASSENKAMPFES

Das Jahr des Widerstands, Interview

Die Sphäre der Zivilgesellschaft und ihrer Organisationen ist ein struktureller Ort in kapitalistischen Gesellschaften, an dem heterogene Subjekte die Möglichkeit haben, auf die Artikulation und Mobilisierung der öffentlichen Meinung einzuwirken. Lidija Krienzer-Radojević, Theoretikerin und Geschäftsführerin der IG Kultur Steiermark, sprach im Interview mit der kroatischen Theorie-Plattform Slobodni Filozofski über die Entwicklung der Zivilgesellschaft im postjugoslawischen Raum, die Frage nach der Autonomie und Historisierung von Zivilgesellschaft im Allgemeinen sowie über Analogien zum Kulturbereich und die Handlungsfelder in konkreten sozialen Kämpfen.

Auf tatsachen.at wird das Interview erstmals in deutschsprachiger Übersetzung von Silvia Stecher im Rahmen der Serie „Das Jahr des Widerstands“ publiziert.

Wie würden Sie den Begriff der Zivilgesellschaft definieren? Ist sie eine Gesellschaftsformation, eine Gesellschaftssphäre oder etwas anderes? Aus welchem politischen Imaginären kommt sie, ist sie autonom oder abhängig und wodurch wird sie legitimiert?

Krienzer-Radojević: Die Erzählung von der Zivilgesellschaft ist eigentlich eine Erzählung von der Strukturierung der kapitalistischen Gesellschaft, und diese ist unvermeidlich Teil des politischen Imaginären der liberalen kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die sich gliedern lässt in den Kapitalisten, der aus wirtschaftlicher Sicht die Macht über die Produktionsmittel hat, den Staat, der die rechtliche und repressive Macht innehat, und schließlich die Zivilgesellschaft, die als Netzwerk heterogener und fragmentierter Subjekte organisiert ist – die zueinander auch in konfligierenden Positionen stehen. Die Zivilgesellschaft ist in kapitalistischen Gesellschaften nämlich ein strukturierter Ort zur Mobilisierung und Formierung einer öffentlichen Meinung, wodurch sie im Imaginären der liberalen Ordnung legitimiert wird.

Es ist wichtig, die Zivilgesellschaft als historisches, aber auch politisches Konzept kapitalistischer Gesellschaften zu verstehen. Die Selbstorganisation der Zivilgesellschaft und ihre Entwicklung hängen von den wirtschaftlichen Bedingungen ab, von ihrem historischen Verlauf und der historischen Erfahrung.

Man kann daher nicht von der Zivilgesellschaft als einem einheitlichen, ahistorischen Konzept sprechen, sondern muss sie spezifizieren und innerhalb der konkreten sozialen Kämpfe analysieren.

Die Frage nach der Autonomie der Zivilgesellschaft ist politisch falsch und analytisch unproduktiv, da die Gesellschaft als ein Ganzes zu verstehen ist, das die Verflechtung verschiedener Prozesse und Beziehungen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Akteur*innen impliziert. Daher lässt sich weder der Staat, der eine generelle gesellschaftliche Metainstitution ist, als autonom bezeichnen noch die Zivilgesellschaft. Wir müssen aus dem liberalen Traum von autonomen Gesellschaftssphären erwachen.

In Jugoslawien waren verschiedene alternative soziale Bewegungen aktiv (feministische und ökologische, Friedensbewegung, LGBT …), die als politische und theoretische Plattformen relativ entwickelt waren, während das Konzept von Zivilgesellschaft, wie wir es heute kennen, erst recht spät aufkam. Wie lässt sich in diesem Kontext die Situation in den 1980er-Jahren in Slowenien beschreiben?1

Wichtig zu berücksichtigen ist, dass die Kritik des Selbstverwaltungssozialismus innerhalb seiner Organisationen und Strukturen stattfand, aber auch, dass die Organisationen, die diese nur nominell linke Kritik übten, zugleich zur Zerstörung dieses Sozialismus und seiner institutionellen Struktur beitrugen. Dass es im sozialistischen System keine Zivilgesellschaft im klassischen Sinne gab, hat einen einfachen Grund – es war institutionell und ideologisch anders organisiert. Das heißt allerdings nicht, dass keine Kritik am System möglich war. Wir sollten uns stärker mit der Analyse befassen, welche politischen Imaginationen die Verwendung des Signifikanten „Zivilgesellschaft“ hervorrief und inwieweit dies die gesellschaftliche Dynamik im Slowenien der 80er-Jahre beeinflusste bzw. später auch die Reinstitutionalisierung und die Ereignisse der 90er-Jahre.

Am Beispiel des sozialistischen Jugoslawiens oder zumindest dessen, was in den 80er-Jahren in Slowenien geschah, kann man sehen, dass der Import von ideologischen Konzepten wie der Zivilgesellschaft, die in Slowenien als theoretisches Konzept in den frühen 80ern auftauchte, für die politische Artikulation gesellschaftlicher Probleme ambivalente gesellschaftliche Folgen hat. Obwohl es marxistisch ausgebildete Theoretiker*innen waren, die die Zivilgesellschaft aufbrachten, lässt sich nicht sagen, dass diese zur Gänze kritisch-marxistisch positioniert war.

Die Verbreitung der zivilgesellschaftlichen Idee innerhalb des Sozialismus, die als Kritik an der politischen Ordnung des Sozialismus artikuliert wurde, korrespondierte in den 80er-Jahren mit der Verbreitung der Idee des freien Marktes als Kritik an der ökonomischen Ordnung des Sozialismus.

Beide Ideen erhielten Ende der 80er-Jahre ihre rechtlich-formale Grundlage; auf ökonomischem Gebiet in der Änderung der Gesetze über das gesellschaftliche Eigentum (1989), die Arbeitsverhältnisse (Jänner 1989), ausländische Investitionen (Dezember 1988) und Unternehmen (Dezember 1988), während es in der politischen Sphäre zu Parteienpluralismus und Wahlkämpfen kommt. Ich würde sagen, dass der Erfolg der zivilgesellschaftlichen Kritik am sozialistischen Gefüge und den Problemen der 80er-Jahre aus marxistischer Perspektive durchaus zweifelhaft war.

Sprechen wir über Slowenien, so war die Zivilgesellschaft in den 80er-Jahren zum Großteil über eine vom Sozialismus geschaffene Infrastruktur organisiert. Sie agierte auf organisatorischen Grundlagen und in gesellschaftlichen Verhältnissen, die völlig anders waren. Das solidarische Moment, das wir oft glorifizieren und nach dem wir uns heute sehnen, bzw. die Tatsache, dass eine Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Initiativen – Feminismus, LGBT, Friedensbewegung, alternativen Kulturproduktionen – entstand und sich eine gemeinsame politische Linie formierte, war deshalb möglich, weil es dieses spezifische, institutionelle Arrangement gab, das eine Organisierung über die Strukturen des Selbstverwaltungssozialismus erlaubte, etwa den slowenischen Jugendverband. Letzterer stellte vielen Initiativen seine materielle und finanzielle Infrastruktur zur Verfügung. In Ljubljana waren es die Galerie ŠKUC und das Forum, die als Räume für aktivistische und künstlerische Tätigkeiten dienten, sowie die Jugendzentren, in denen Produktionen stattfanden, aber auch neue Themen artikuliert wurden. Das bedeutende Crossover-Ereignis der sogenannten Alternative von Ljubljana unter dem Titel „Was ist die Alternative?“ fand etwa unter der Schirmherrschaft der Jugendorganisationen sowie in deren Räumlichkeiten statt und resultierte aus der Artikulation aktueller politisch-gesellschaftlicher Themen.

Was ist der grundlegende Unterschied zwischen der Struktur der zivilgesellschaftlichen Sphäre im Sozialismus und der heutigen Situation? Denken Sie, dass es heute im Rahmen der Zivilgesellschaft möglich ist, eine Verbindung zu sozialen Bewegungen und Klassenfragen herzustellen?

Die Vernachlässigung von Arbeiter*innen- und Klassenfragen innerhalb des Imaginären der Menschenrechte kommt daher, dass im Kapitalismus Forderungen nach politischen Rechten vorherrschen, während im Sozialismus die wirtschaftlichen und sozialen Rechte vorrangig waren.

In den postjugoslawischen Ländern war der Menschenrechtsdiskurs der führende Diskurs, mit dem der Sozialismus als legitimes Gesellschaftssystem dementiert wurde, und auf die gleiche Weise hatte er an dessen Zerstörung mitgewirkt. Derselbe Diskurs wird noch immer genutzt, um neuerliche Überlegungen, den Sozialismus als Alternative zum Kapitalismus zu setzen, zurückzuweisen. Im postjugoslawischen Kontext ist es wichtig zu betonen, dass hier ein Teil der Geschichte vergessen wird, der auf bestimmter Ebene sehr entwickelt war und, auch in Bezug auf die heutige Gesellschaft, eine Avantgarde darstellte. Dieses Vergessen hat sich im Menschenrechtsdiskurs verankert, geht aber auf eine Kritik zurück, die inzwischen keine Legitimität mehr hat. Die politische Artikulation eines Kampfes für größere wirtschaftliche Gleichheit und Demokratie wurde als Weg in den Totalitarismus disqualifiziert, diese Disqualifikation hat jedoch, im Kontext der plötzlichen Verengung des politischen Raumes seit der Krise, ihre agitatorische Macht verloren.

Denn heute, in Zeiten tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandels und der Suche nach Alternativen, gewinnt die Unterscheidung von sozialen und politischen Rechten wieder an Bedeutung.

Als Nutznießer*innen und Träger*innen politischer Rechte können wir uns zu mannigfaltigen politischen Akteur*innen zusammenschließen, während sich zugleich der Raum verengt, in dem wir Fragen zu unseren wirtschaftlichen und sozialen Rechten stellen können. Nehmen wir zum Beispiel die sogenannte Flüchtlingskrise, wo den Menschen, die hierherkommen, systematisch ihre wirtschaftlichen und sozialen Rechte abgesprochen werden – das Recht auf Arbeit und Wohlstand, d. h. die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse – und sie zugleich als „Wirtschaftsflüchtlinge“ kategorisiert werden.

Der Sozialismus, insbesondere der jugoslawische, war ein Konglomerat, bestehend aus einem Delegiertensystem sowie Institutionen, durch die öffentliche Meinung geschaffen werden konnte. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Zahl der Akteur*innen der sogenannten Zivilgesellschaft in Slowenien eigentlich sehr klein war. Es handelte sich also um relativ kleine Gruppen, aber diese konnten ihren Problemen Gehör verschaffen und leichter in den öffentlichen Diskurs gelangen, da sie die Möglichkeit hatten, über institutionelle Kanäle wie den slowenischen Jugendverband aktiv zu werden. Der Jugendverband war im System der Selbstverwaltung immerhin eine von fünf gesellschaftlich-politischen Basisorganisationen.

Die Frage ist, wie sichtbar die zivilgesellschaftlichen Initiativen gewesen wären, hätte es diese institutionelle Unterstützung nicht gegeben. Die Erzählung über den Punk in Slowenien ist eine Erzählung der Anpassung. Die kurze Episode der Repressionen gegen die Punks Anfang der 80er-Jahre wandelte sich schnell zu einer „konstruktiven Opposition“ unter der Schirmherrschaft des Jugendverbands. Die Jugendorganisationen verwalteten die Räumlichkeiten, die der sogenannten Alternative zur Verfügung standen. Die finanzielle und infrastrukturelle Unterstützung, für die die heutigen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den kapitalistischen Gesellschaften unermüdlich kämpfen und die ihnen große Probleme bereitet, war im Selbstverwaltungssozialismus auf andere Weise sichergestellt.

Der grundlegende Unterschied zwischen der Zivilgesellschaft im Sozialismus und heute zeigt sich am Grad der Autonomie in der politischen Entscheidungsfindung. Heute kann man in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zwei Probleme ausmachen, die zivilgesellschaftliche Organisationen (ZGOs) betreffen.

Seit Beginn der Krise 2007/08 sind wir mit einer dramatischen Erosion des politischen Raumes konfrontiert, mit einer autoritären Wende auf staatlicher Ebene und mit der Frage, wo die Verantwortung für das zu verorten ist, was mit uns geschieht.

Einerseits wird die Entscheidungsfindung durch die Institutionen der EU verstärkt internationalisiert und vom Ort ihrer Umsetzung getrennt, wodurch sich die lokalen Parlamente mehr und mehr in Verwaltungsbehörden verwandeln, die die Entscheidungen implementieren. Damit verlieren wir die Orte aus den Augen, an denen die Entscheidungen über die lokale Gesellschaftsordnung getroffen werden. Andererseits wird eine Dezentralisierung des öffentlichen Diskurses vorgenommen – die klassischen Medien verlieren an Bedeutung und die sozialen Netzwerke zerstören die verbleibenden journalistischen Qualitätsstandards und die öffentliche Kommunikation.

Aufgrund der erwähnten Prozesse ist es für die zivilgesellschaftlichen Organisationen wesentlich schwerer, an Einfluss zu gewinnen, da ihre politische Wirkung viel zu gering ist. Ihre Arbeit dient jedoch an vielen Stellen als Argument zur Demontage des Sozialstaats. Ich denke, dass ein Vergleich zwischen der Sphäre der „Zivilgesellschaft“ in den 80er-Jahren und der heutigen eigentlich nicht möglich ist, da im jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus die einzelnen Teilrepubliken und ihre Institutionen hohe Autonomie im politischen Entscheidungsprozess hatten.

Wie haben sich die Aktivitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen in Slowenien von den 80er-Jahren bis jetzt verändert, wenn man den Fokus auf die Transformationsprozesse im Kulturbereich legt? Kann man eine Analogie herstellen zwischen den ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen, die zur Wende in den kulturellen Reproduktionsweisen führten, und den Kräften, die auf den Modus der institutionellen Produktion der zivilgesellschaftlichen Sphäre einwirkten?

Eines der relevanten Ereignisse in Slowenien Anfang der 1990er-Jahre war die Verabschiedung des Institutionengesetzes (Zakon o zavodih), mit dem ein Unterschied zwischen privaten und öffentlichen Institutionen gemacht wurde. Seit den späten 80er-Jahren gab es kein gesellschaftliches Eigentum mehr und es wurde notwendig, einen Unterschied zwischen privat und öffentlich einzuführen. Das Institutionengesetz ermöglichte somit den Aufbau einer zivilgesellschaftlichen Sphäre und ihrer institutionellen Organisation. Wir unterscheiden daher klassische Organisationen als private Subjekte, d. h. rechtlich-formale Organisationen der Zivilgesellschaft, gegenüber öffentlichen Institutionen, durch die sich der Staat in seiner Gesamtheit reproduziert. Ich halte die Einführung dieses Gesetzes für ein wichtiges Ereignis, weil die rechtlich-formale Trennung des Öffentlichen und Privaten auf der einen Seite die Zivilgesellschaft, auf der anderen den kapitalistischen Staat hervorgebracht hat. Wie einschneidend dieser Akt war, sieht man am besten im Kulturbereich, wo diese Trennung zunächst die Aktivitäten der Kulturproduzent*innen legalisierte, die den Status privater Akteur*innen erhielten und damit auch die rechtliche Grundlage für ihre Produktion, d. h. für ihre wirtschaftliche Existenz. Zugleich bewirkte diese Transformation einen Rückkopplungseffekt, der das Denken über Kultur und ihren sozialen Status beeinflusste.

Während im Sozialismus Kultur eine große Bedeutung für Emanzipation und Bildung hatte, beginnen mit dem Übergang zum Kapitalismus neue Produktionsbedingungen, die gesellschaftliche Rolle der Kultur und ihres Einflusses zu bestimmen. Die Trennung in öffentliche und private Kulturinstitutionen und der Kampf um (zumeist öffentliche) Produktionsmittel organisieren die soziale Stellung und politische Artikulation der Akteur*innen im Kulturbetrieb. Im Kontext des lokalen Nationalismus erhält die Trennung in öffentlich-privat eine neue Dimension, und zwar durch die Trennung entlang der Achse konservativ-liberal. Betont werden muss, dass es in Slowenien, Anfang der 90er-Jahre, zu einer starken nationalistischen, konservativen Wende kommt, in der die öffentlichen (aber auch manche private) Kulturinstitutionen überwiegend den nationalistischen Diskurs reproduzieren. In diesem Kontext sind die liberal orientierten Kulturinstitutionen, die zum Großteil aus der sogenannten freien Szene kommen und vorwiegend privat organisiert sind, äußerst relevant für die Herausbildung von antinationalistischen und friedensbezogenen Positionen. Jedoch ignorieren beide Seiten, trotz des großen Unterschieds in der Weltanschauung, die Folgen der produktiven Ungleichheit, deren Anfänge noch in den 80er-Jahren liegen.

Um finanziell zu überleben, sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen unweigerlich auf den Markt von Projekten ausgerichtet. Die Vision ihres gesellschaftlichen Engagements ist somit strukturell bedingt und geformt durch aufgesplitterte Narrative, und beruht nicht auf Erfahrung aus der Arbeit im Feld oder auf der Problematisierung von gesellschaftlichen Verhältnissen im Prozess der politischen Bildung. Wie spiegelt sich das in der Praxis wider, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen, zu schulen und zu mobilisieren, und inwiefern ist eine solche Reproduktion des Engagements in der Zivilgesellschaft imstande, an einer tiefgreifenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse mitzuwirken?

In Slowenien herrscht heute große Nostalgie in Bezug auf eine bestimmte Form kollektiver Bewegungen und Aktionen. Der Grund dafür ist, dass private Akteur*innen seit den 1990er-Jahren fast ausschließlich von der eigenen Positionierung auf dem Markt abhängig sind, wo es einfach nicht genügend Platz gibt – im Hinblick darauf, dass es sich hauptsächlich um Non-Profit-Organisationen und meist aktivistische Themen handelt. Häufig wollen diese Akteur*innen jedoch kein Teil des Marktes sein, weshalb sie sich lieber an öffentliche Gelder oder private Spenden, Stiftungen und Ähnliches halten. Es herrscht ständige Ungewissheit, sowohl organisatorisch als auch produktiv. Folglich sind ZGOs gerade aufgrund ihrer Finanzierungsweise gezwungen, in ihrer Produktion kapitalistische Verhältnisse zu realisieren.

Doch die Frage ist, auf welche Weise eine antikapitalistische zivilgesellschaftliche Organisation überhaupt unter den Bedingungen kapitalistischer Produktion agieren kann.

Dieses Problem besteht sowohl für lokale wie auch für globale, große antikapitalistische ZGOs. Man hält sie deshalb häufig für Verräter*innen von Ideen, für Agent*innen des Systemerhalts usw. Das zieht eine Reihe wichtiger Fragen nach sich – wie soll man dieses Problem in einem sehr eng gewordenen politischen Raum adressieren, wie kann man sich behaupten und an einzelnen Themen arbeiten, wenn man dafür keine materielle Basis, keine finanzielle Basis, keine institutionelle Basis hat, und wenn man sich ständig neue Organisationsmodelle überlegen und diese umsetzen muss?

Zudem sind Ausschreibungen zur öffentlichen Finanzierung so gestaltet, dass sie den Markt organisieren. Das ist vielleicht am besten im Kulturbereich zu sehen, wo es strukturell bedingt ist, dass die einzelnen ZGOs innerhalb des Wettbewerbs zueinander in Konkurrenz stehen. Die Wettbewerbsbeziehungen werden durch die Anforderungen des Wettbewerbs geschaffen, bzw. verunmöglichen die Kriterien, die diese Beziehungen herstellen, jede Solidarität oder neue Handlungsmodelle.

Es muss gesagt werden, dass Netzwerken keine Solidarität ist, genauso wenig wie Kooperationen keine solidarischen Produktionsmodelle sind.

Es handelt sich um zwei sehr problematische Formen der Zusammenarbeit, besonders in der Kultur, die eine spezifische Stärkung des Kulturbetriebs fördern, obwohl sie weder solidarische Beziehungen herstellen noch auf solchen beruhen. „Netzwerken“ und „Kooperationen“ sind Schlüsselwörter aller Ausschreibungen für die Vergabe finanzieller Mittel auf EU-Ebene. Jedoch zeigen Evaluierungsstudien dieser Programme sowie wissenschaftliche Analysen, dass diese beiden Organisationsformen ausschließlich formale Auswirkung haben. Sich zu vernetzen ist für Kulturorganisationen vor allem eine Überlebenstaktik, und sie wird in erster Linie zur Durchsetzung der eigenen Ziele genutzt. Die Einführung solidarischer Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturorganisationen würde sich dagegen auf die Produktion von Inhalten auswirken, und sie würde im Wesentlichen auch die Produktionsweise aller Beteiligten verändern. Trotz dieser Schlüsselwörter verhindern also die Wettbewerbsverhältnisse, die allen Ausschreibungen zugrunde liegen, strukturell die Organisation breiter gesellschaftlicher Plattformen.

Die staatlichen Subventionen für zivilgesellschaftliche Organisationen sind eigentlich nur Krümel im Vergleich zu der Kapazität, die ein Sozialstaat hätte. Dennoch versuchen Teile der Zivilgesellschaft unterfinanzierte oder ausgelaufene Leistungen zu kompensieren, um humanitär bei jenen Teilen der Bevölkerung einzugreifen, denen es nicht gelingt, sich selbst durch die Möglichkeiten des Marktes zu reproduzieren. Inwiefern können solche Praktiken, die Parallelstrukturen errichten, Teil der Antwort auf das Verschwinden der öffentlichen Mechanismen zur gesellschaftlichen Reproduktion sein? 

Ab den späten 90er-Jahren erleben die Zivilgesellschaft und ihre Organisationen eine große Wende. Hatten sie zuvor eine bedeutende Stellung im akademischen Diskurs und übten sie zumindest nominell Kritik vonseiten der Linken, werden sie Ende der 90er ein institutioneller Mechanismus für unterschiedliche Policies und ein operationaler Teil des Entwicklungshilfeprogramms der Weltbank und anderer internationaler Institutionen. Die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen als Sektor, der die gesellschaftliche Reproduktion unterstützt, dient den Politiken internationaler Organisationen als Aushängeschild. Das ist Teil der Restrukturierung des Staates nach klassischer neoliberaler Auffassung, in der sich der Staat auf seine repressiven Apparate – Gesetz, Polizei und Militär – beschränkt, während er seine soziale Rolle und die Mechanismen, die die gesellschaftliche Reproduktion sicherstellen sollen, auf den privaten Sektor verschiebt, wo das Wirken zivilgesellschaftlicher Organisationen zentral ist. Das ist nichts Neues: Die Staaten des sogenannten globalen Südens leben diese Realität schon seit einiger Zeit, und mit der neuen Welle der Neoliberalisierung hält der Trend zur Demontage des Sozialstaats auch in der Europäischen Union Einzug.

Wir verfolgen diesen gefährlichen Trend in Slowenien seit 2008 in allen gesellschaftlichen Bereichen, und er zeigt sich auch in Kroatien:

Der Staat überträgt Schritt für Schritt die Verantwortung für die soziale Kohäsion auf private Akteur*innen, die nicht die Kapazitäten haben, um die genannten Anforderungen zu erfüllen, da sie sich durch Projekte und andere Modelle finanzieren, die weder Stabilität noch Kontinuität haben. Und was das Schlimmste ist: Damit brechen parallel die Grundpfeiler des öffentlichen Sektors zusammen, wie das Sozial- und Gesundheitssystem, Kultur, Bildung usw.

Auf der anderen Seite organisiert der Staat soziale Stabilität durch andere Mechanismen, meist Zwangsmechanismen, zum Beispiel, dass immer genauere Auflagen erfüllt werden müssen. Hier ist etwas im Spiel, vor dem wir uns vonseiten der Linken fürchten sollten, denn es geht um eine neue Handlungsebene in einem sehr engen politischen Spielraum und auf einer sehr fragmentierten institutionellen Grundlage für die Bildung von Kollektivität und Systemkritik. Der öffentliche Sektor als riesiges Konglomerat von Institutionen verkleinert sich einerseits physisch durch die besagten Prozesse, während er andererseits von innen heraus transformiert wird, nämlich durch die Einführung der Doktrin des sogenannten New Public Management (Öffentliche Reformverwaltung), das die Tätigkeiten öffentlicher Institutionen in Tätigkeiten privater Firmen umwandelt. Solche Prozesse können wir in allen öffentlichen Institutionen beobachten, von Krankenhäusern über Universitäten bis hin zu Kindergärten und den kommunalen Diensten. In einer solchen Situation wirken die ZGOs häufig als Substitute, die mit ihren begrenzten Kapazitäten versuchen, die katastrophalen sozialen Folgen dieses Problems abzufangen. Ein Pflaster jedoch kann keine offene Wunde heilen.

Stimmen aus der Zivilgesellschaft weisen immer öfter auf die Prekarisierung und Selbstprekarisierung der Aktivist*innen in den einzelnen Organisationen hin. Ist die zivilgesellschaftliche Sphäre mit ihren einzelnen Organisationen homogen genug, um eine generelle Diagnose über die Arbeitsbedingungen zu stellen, die auf den gesamten Sektor gleichermaßen anwendbar wäre?

Die Organisationen der Zivilgesellschaft sind derzeit, wo wir im Kapitalismus leben, wichtig, aber sie sind keinesfalls ausreichend für die politische Artikulation der Linken, und ihre strukturelle Position erlaubt keine Homogenisierung. Vielmehr erfordert ihre strukturelle Position Konkurrenz, die gerade durch das Fundraising entsteht, sie erfordert den Kampf auf dem Feld der Interessen und dass gewisse Themen bevorzugt werden. Die Initiativen wirken meist durch ihre Arbeit an partikulären Themen, und eigentlich administrieren sie Klassenprobleme. Es handelt sich also um eine Parzellierung und Artikulierung von Problemen, mit denen auf praktischer Ebene versucht wird, sie dem Staat als Vorschläge für eine Policy zu unterbreiten. Der Dialog zwischen dem Staat und den ZGOs durch die Bildung verschiedener Policies formt die liberale Gesellschaftsordnung, die durch die allmähliche autoritäre Wende auf staatlicher Ebene erneut bedroht ist. Deshalb glaube ich, dass wir über das Konzept der Zivilgesellschaft nicht nach Möglichkeiten für revolutionäres Handeln suchen können.

Ich denke, dass konkrete Praktiken einige sehr gute Initiativen und Ideen hervorbringen können, und punktuell geschieht das im postjugoslawischen Raum auch. Es tauchen Initiativen auf, die es verstehen, konstruktiv zu sein und neue Verbindungen zu schaffen.

Aber ich denke, dass eine bedeutendere Stärkung durch die zivilgesellschaftlichen Organisationen nicht möglich ist. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten sind wichtig, da sie momentan fast das einzig Mögliche sind. Wir müssen uns aber der Problematik ihrer strukturellen Position bewusst sein, während wir versuchen, etwas Stärkeres aufzubauen, und daran das eigene Handeln und Artikulieren ausrichten. Wichtig ist stets, die historischen Umstände zu überblicken, in denen wir uns befinden, und sich der globalen Ordnung bewusst zu sein, denn diese beeinflusst das lokale Handeln und kann dazu beitragen, dass manche Initiativen zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einem bestimmten Kontext eine wichtige Rolle spielen. Wenn wir uns die schwache und marginale Position vergegenwärtigen, die die Kommunist*innen vor dem Zweiten Weltkrieg hatten, sehen wir, dass die Lage der Linken noch schlechter sein kann. Das hinderte sie damals aber nicht daran, es mit den historischen Ereignissen aufzunehmen, sich auf die richtige Seite zu stellen und Politik zu machen.

*

1. Inspiriert von postmarxistischen (westlichen) Theorien über die Zivilgesellschaft entstand im Slowenien der 1980er-Jahre unter dem Namen Alternativa eine Bewegung, die erheblichen Einfluss auf die letzte Dekade des jugoslawischen Sozialismus hatte. Sie war ein gemeinsames Unterfangen von Intellektuellen und Künstlern, die später auch international Anerkennung erfuhren (wie etwa Slavoj Žižek, Marina Gržinić, Rastko Močnik, Laibach, Irwin etc.)


Aus dem Kroatischen von Silvia Stecher

Erstveröffentlichung: http://slobodnifilozofski.com/2017/11/administracija-klasnog-sukoba.html

Foto:
Leonilo „Neil“ Dolirocon, „Ekonomska konferencija“ von
Nagarjun Kandukuru @ Flickr publiziert als Creative Commons