DIE ERSTE WOCHE – EIN SCHWARZBLAUER AUSBLICK
Eine Nachlese, Teil 2:
Eine Woche lang habe ich an dieser Stelle [auf Facebook] Tag 1 bis Tag 7 von Schwarzblau dokumentiert und was diese Bundesregierung für Österreich bedeutet. Es war ein journalistischer Versuchsballon, der jede Menge Resonanz ausgelöst hat, der Bedarf und Notwendigkeit gezeigt hat. Und den es deshalb, hier und an jeder anderen möglichen Stelle braucht, unter Beteiligung aller, die nicht bereit sind, Menschenverachtung als jene Normalität zu akzeptieren, die sie im gesellschaftlichen Denken und Tun zum Teil schon geworden ist bzw. in der österreichischen Geschichte nie aufgehört hat zu sein und nun in totalitärer Absolutheit zu werden droht.
Ein Fehler ist mir in diesem Diary X unterlaufen. Ich habe in einer Antwort auf einen Kommentar impulsiv von „Grauslichkeiten“ geschrieben. Grauslichkeiten sind jedoch etwas, wovor man sich ekelt, was einen anwidert und wovon man deshalb die Finger lässt. Das ist ein Euphemismus. Die aufgelisteten Fakten sind keine Grauslichkeiten, sondern Grausamkeiten. Mit klar formulierten Zielen, vorsätzlich und aus Überzeugung ausgeführt. Zusammengesetzt aus Rassismus, Sexismus, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Homophobie und massiver Gewalt gegen Arme.
Sie werden Menschenleben kosten. An den in Gang gesetzten Prozessen bzw. ihrer rasanten Beschleunigung werden Menschen sterben, an ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen, an der Zerschlagung weiter Teile des Sozial- und Gesundheitssystems, an der rasant wachsenden Armut und deren Vererbung über Generationen. Die Zahl derer, die durch die Politik der Grenzschließungen bereits getötet wurden, können wir nur erahnen, es sind Tausende. Und es werden mehr werden. Ebenso wie durch die rigide und immer rigider werdende Abschiebungspolitik. All diese Mechanismen hat nicht die schwarzblaue Bundesregierung erfunden, sie bilden vielmehr die Grundlage jedes kapitalistischen Systems und dieses wiederum die jedes faschistischen.
Es wird das tägliche Leben sehr vieler erheblich verschlechtern, für die, die ohnehin schon zu den Benachteiligen zählen, wird diese Verschärfung noch wesentlich schlimmer werden.
Das ist Fakt. Keine Übertreibung, keine Panikmache, keine parteipolitischer Werbeslogan. Es ist schlichtweg Realität.
Je geringer die Information, je weniger die Aufmerksamkeit und Wachsamkeit und je verhaltener der Widerstand sich entwickelt, desto mehr Menschen werden auf der Strecke bleiben und desto größer und nachhaltiger wird das Ausmaß der geplanten Zerstörung werden. Denn irgendwann schreiben sich unwidersprochene und scheinbar omnipräsente Erklärungsmuster, Narrative, Bilder, Ideologien in die eigenen Denkstrukturen ein, aus diesen werden Entscheidungen, Handlungen, Taten. Wenn politische Gewalt und Menschenverachtung zur Normalität wird, wenn keiner mehr darüber erschrickt, sich empört, wütend wird, aufschreit, sich widersetzt, sich für andere einsetzt, ist es zu spät. Wenn eine solche „Normalität“ und ihre BaumeisterInnen und SäulenträgerInnen das Denken, das Fühlen und die Worte beherrschen, beherrschen sie auch die Taten, jedes und jeder Einzelnen. Die größte Gefahr ist die Normalität.
Deshalb gilt es, bei allem bestehenden Entsetzen und aller Verzweiflung, bei aller Müdigkeit und aller Ratlosigkeit, und erst recht bei allem Zweifel, ob es denn wirklich so schlimm ist, genau das nicht aus den Augen zu verlieren. Fakten schaffen nicht nur politische Beschlüsse, sondern auch die Worte, mit denen diese definiert werden. Denn diese bedeuten Wissen, Verortung, Erkennen sowie die Fähigkeit, Blendungsversuchen zu widerstehen und ihnen etwas entgegen zu setzen. Diese Möglichkeiten und Fähigkeiten sind da, es gilt sie zu nützen.
Dafür braucht es Information, Aufmerksamkeit, Interesse, Wachsamkeit und Widerstand. Auf all das ist diese Dokumentation, dieses DiaryX, in den letzten sieben Tagen gestoßen – euch allen ein großes Danke dafür. Das muss, kann und soll Journalismus leisten. Das müssen, können und sollen seine RezipientInnen einfordern. Tagtäglich.
Ich kann nicht versprechen, wie und in welcher Form es gelingt, aber ich werde versuchen, diese dokumentarische Begleitung auf kontinuierliche Schienen zu bringen. Noch ist nicht viel fix, nur, dass es nicht allein gehen wird, das ist auf Dauer nicht zu bewerkstelligen. Und offen gesagt, auch nicht zu ertragen. Doch genau diese Unerträglichkeit macht es so notwendig.
Foto: (c) Evelyn Schalk