NEWSTICKER 22. Mai 2018 – DIE FPÖ UND IHR GECETA. EINE CETATSAMMLUNG.

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Ob CETA gut oder schlecht ist, welche Vor- und Nachteile es für Österreich, die EU, Kanada und andere Staaten in sich birgt, sei für das Folgende dahingestellt. Nicht CETA wird hier unter die Lupe genommen, sondern die … sagen wir mal … sehr unterschiedlichen Positionen der FPÖ zum Freihandelsabkommen vor und nach der Wahl. Und da es der Regierung ja so wichtig ist, an ihren Taten gemessen zu werden, beschränke ich mich, im Sinne eines Faktenchecks, mehr oder weniger auf eine Wiedergabe des tatsächlich Gesagten und Vollzogenen, damit man sich noch auskennt. Also:

Norbert Hofer am 20. Oktober 2016 bei einer Wahlkampfrede: „… dass ich CETA und TTIP einer direkten demokratischen Entscheidung unterziehen werde und ich als Bundespräsident ansonsten nicht unterschreiben werde. Ich werde nicht unterschreiben.“[1] (Darauf folgt großer Applaus aus der Menge.)

Im Januar 2017 haben über 560.000 Menschen das von der FPÖ unterstützte Anti-CETA-Volksbegehren unterzeichnet. Darunter auch H. C. Strache und Hofer.[2]

Am 4. Februar 2017 postet Strache auf seiner Facebook-Seite: „Ich fordere eine verbindliche Volksabstimmung zu CETA und TTIP. Die rot-schwarze Regierung und die EU dürfen nicht einfach über die Interessen der österreichischen Bevölkerung drüber fahren!“[3]

In der ORF-Sendung Report vom 19. September 2017 befragt die Moderatorin H. C. Strache: „CETA, das umstrittene Freihandelsabkommen. Da wollen Sie eine Volksabstimmung.“ – Strache: „So ist es. Absolut.“ – Moderatorin: „Ist das eine Koalitionsbedingung?“ – Strache: „Das ist eine Bedingung. Und hier hat die österreichische Bevölkerung natürlich in einer verbindlichen Volksabstimmung auch die Entscheidung zu treffen und nicht wieder irgendeine Partei oder Parteien, die im Hinterkammerl des Parteisekretariats da mauscheln.“[4]

(„Mauscheln“, wenn der Exkurs gestattet sei, heißt übrigens „‚reden wie ein Jude‘ (nach dem Stereotyp) […]. Abgeleitet von Mausche, der jiddischen Form des biblischen Namens Mose (mōšä[h]), die als Übername der Handelsjuden gebraucht wurde (auch Mauschel) […].“[5] Im Deutschen Wörterbuch von J. und W. Grimm wird der Begriff u. a. umschrieben mit: „wie ein schacherjude verfahren; […] sich mit heimlichen und unerlaubten geschäftchen abgeben.“[6])

H. C. Strache am 20. September 2017: „Wir Freiheitlichen tun das, dass wir selbstverständlich nach dem 15. Oktober vehement für diese verbindliche Volksabstimmung bei CETA, TTIP, aber auch bei anderen Freihandelsabkommen – in Zukunft mit Japan – eintreten werden.“[7]

Im FPÖ TV war zur gleichen Zeit zu hören: „Damit das Abkommen komplett in Kraft treten kann, müssen die nationalen Parlamente zustimmen. In Österreich wird die FPÖ gegen CETA stimmen.“[8]

Aber dann, Achtung, Achtung:

AM 16. MAI 2018 HAT DIE FPÖ GEMEINSAM MIT DER ÖVP DEM HANDELSABKOMMEN CETA WIE IN IHREM REGIERUNGSPROGRAMM VEREINBART[9] ZUGESTIMMT. OHNE EINE VOLKSABSTIMMUNG.

Krawutzi Kaputzi! Haben da jetzt vielleicht irgendwelche Parteien im Hinterkammerl des Parteisekretariats, ähm … gemauschelt?

Und wie geht’s weiter?

Der Standard will am 16. Mai 2018 von Infrastrukturminister Hofer wissen, wie die Kehrtwende zu rechtfertigen ist. Hofers Büro antwortet: „Diese Frage stellt sich nicht“[10].

Der Standard befragt Verteidigungsminister Mario Kunasek, der meint, „Ceta seien die Giftzähne gezogen worden, darum könne die FPÖ zustimmen. ‚Welche Giftzähne?‘, wollte Der Standard von Kunasek wissen. Dessen Antwort: ‚Nächste Frage.‘“[11]

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky äußert sich in der ZIB2 zum Thema, dass CETA „2016 durch den damaligen Bundeskanzler und Noch-SPÖ-Chef Christian Kern im Alleingang auf Schiene gebracht worden und ist provisorisch in Kraft seit September 2017. Also wenn Tassilo Wallentin [in der Kronen Zeitung, Anm.] hier Kritik übt, dann muss er das an die richtige Adresse adressieren und das ist die österreichische Sozialdemokratie, das ist der abgewählte Bundeskanzler Christian Kern.“ Wolf darauf: „Naja, ganz so ist es nicht […], sonst hätte man den Beschluss im Ministerrat heute nicht gebraucht und sonst würde man den Parlamentsbeschluss ja auch nicht brauchen. Und Fakt ist, dass die FPÖ noch wenige Tage vor der Nationalratswahl [am 15. Oktober 2017, Anm.] gesagt hat: ‚Eine Volksabstimmung über CETA ist Bedingung für eine Koalition‘, z.B. Parteichef H. C. Strache am 18. 09. [2017] im Report. […] Ihr Parteichef hat zwei Wochen vor der Wahl gesagt: ‚Wir machen keine Koalition ohne Volksabstimmung über CETA.‘ Und jetzt haben Sie eine Koalition gemacht ohne Volksabstimmung über CETA. Das ist doch ein klassischer Wortbruch.“

Vilimsky: „Wir haben mehrfach diese Volksabstimmung beantragt, sind immer wieder gescheitert an den Sozialdemokraten [Vilimsky spricht von 2016, nicht von der Zeit nach der Wahl und den Koalitionsverhandlungen, Anm.]. Unser Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer hat es mehrfach und unmissverständlich gesagt. Eine Mehrheit hat eine andere Lösung bevorzugt. [2016!, Anm.] Und die Möglichkeit besteht ja immer noch, dass der grüne Bundespräsident, der Alexander van der Bellen, hier entsprechend auch agiert.“

Was hat nun Alexander van der Bellen mit dem Wortbruch der FPÖ zu tun?

Vilimsky: „Der Ball ist im Wesentlichen [!] vorbei …“

[Ja schon, nämlich seit dem 16. Mai 2018. Durch den Beschluss von FPÖ und ÖVP, Anm.]

Vilimsky: „… und die Geschichte ist jene, dass CETA im Jahr 2016 durch die Sozialdemokraten provisorisch im September 2017 in Kraft getreten ist.“

Was? – CETA ist schon im Jahr 2016 im September 2017 in Kraft getreten?? Es scheint sich hier um ein denkwürdiges physikalisches Phänomen zu handeln. Vielleicht hat es irgendwas mit einem Schwarzen (oder türkisen) Loch zu tun. (Tatsache: „Ein Teil von CETA ist bereits gültig, die Ratifizierung [durch die EU-Mitgliedsstaaten, Anm.] ist für jenen Teil nötig, der die umstrittenen Schiedsgerichte betrifft.“[12])

Vilimsky: „Und daran, glaube ich [!], kann man nicht rütteln.“

Wolf: „Doch! Wenn das Parlament nicht ratifiziert, dann treten die Schiedsgerichte nicht in Kraft. Sie hätten die Macht dazu.“

Vilimsky: „Also erstens einmal ist diese CETA-Geschichte etwas, was uns nicht freut. Wir waren immer dagegen und haben das auch immer offen und klar gesagt. Und was aber jetzt durch diese neue Regierung möglich ist im Bereich Migration eine komplette Wende der bisherigen Politik einzuleiten, im Bereich Asyl eine Zurückdrängung der großen Ströme von Menschen, die ins Land drängen, im Bereich der Kriminalitätsbekämpfung … [… bla bla …] Und da haben wir den letzten Teil dessen, wogegen wir angetreten sind, Sie haben recht, dieses CETA, haben wir in Kauf genommen, auch auf Wunsch des Koalitionspartners, es bleibt aber trotzdem bei der Sache, dass im Jahr 2016 vom abgewählten Bundeskanzler Christian Kern …“

Das beantwortet nicht Wolfs Einwurf, dass CETA nicht in Kraft tritt, wenn das Parlament nicht ratifiziert (die FPÖ also nicht zustimmt, so wie immer schon angekündigt). Aber: Die SPÖ ist schuld, Kern ist schuld, die ÖVP ist schuld, nur die FPÖ ist die ewige Unschuld vom Land und deren Logik lautet: Hätte die Partei dem umfassenden Wirtschafts- und Handelsabkommen zwischen der EU und Kanada nicht zugestimmt, würden nun mehr Asylsuchende und Migrant*innen nach Österreich kommen und die Kriminalitätsraten steigen. Naturalmente.

Vilimsky: „… und bei den Schiedsgerichten, die Sie angesprochen haben, ergibt sich die Situation, dass es keine privaten mehr sind, insofern eine deutliche Verbesserung. Es sind öffentlich-rechtliche Schiedsgerichte mit Berufungsinstanzen. Also dieser Giftzahn ist gezogen worden und das ist gut so.“

Wolf: „Aber Herr Vilimsky, Sie wissen doch ganz genau, dass diese Regelung mit den Schiedsgerichten schon genau so war, als die FPÖ dieses Abkommen noch als Koalitionsbedingung verhindern wollte.“

Vilimsky: „Also es war so, dass diese privaten Schiedsinstanzen Thema waren. Und jetzt gibt es die Situation, dass mit Berufungsinstanzen auf öffentlich-rechtlicher Basis hier Schiedsgerichte erfolgen und aus den Händen der privaten das ganze entrissen wurde. Aber für uns war wichtig in diesem Regierungsübereinkommen, dass wir in den ganz zentralen Bereichen, die wir den Menschen versprochen haben, Migration, Asyl, Kriminalitätsbekämpfung, Steuerentlastung …“

Siehe oben.

Vilimsky: „… und diesen kleinen Teil, der sich wesentlich entschärft hat, weil es nämlich keine privaten mehr sind, sondern öffentlich-rechtliche, da geben wir unsere Zustimmung, richtig.“

Wolf: „Ich möchte nicht, dass unsere Zuseher verwirrt sind. Dieser Teil mit den Schiedsgerichten war vor einem Jahr auch schon geklärt, das ist nicht in den letzten Wochen passiert.“[13]

Auch Strache verbreitet auf Twitter die Information, dass die FPÖ den Vertrag nach Regierungsantritt und vor 16. Mai abgeändert und verbessert habe: „Wir haben jetzt aber einen CETA-Vertrag als Kompromiss sichergestellt, der akzeptabel ist und KEINE Verschlechterungen für die österreichischen Konsumenten und Unternehmen bringt.“[14] Dazu Michel Reimon: „Am CETA-Text wurde nach Verhandlungsabschluss kein Beistrich geändert. Das lässt sich ja leicht nachprüfen. Jeder, der von ‚Entschärfung‘ spricht, lügt JournalistInnen und WählerInnen ins Gesicht.“[15]

In vielen anderen Statements der FPÖ wird der SPÖ für den CETA-Beschluss die Schuld gegeben, u.a. durch Strache als Antwort auf die dringliche Anfrage zu CETA im Parlament am 16. Mai 2018, oder FPÖ-Klubchef Walter Rosenkranz im Ö1 Morgenjournal am selben Tag. Sogar ein aufwändiges Video wurde von der Partei produziert, in dem die SPÖ die Schuld zugewiesen wird. Denn die FPÖ ist nie an etwas schuld und war immer schon ausschließlich Opfer, ¡claro! Aber diese ganzen Ausreden und Rechtfertigungen spielen keine Rolle.

Rosenkranz: „Es braucht sich niemand davor [vor CETA, Anm.] fürchten.“[16]

Warum war die FPÖ dann vor den Regierungsverhandlungen dagegen? Warum war es dann ein klar definiertes Wahlversprechen, dass die FPÖ ohne Volksabstimmung CETA ganz ganz sicher nicht zustimmen werde?

„Es muss auch einmal der Fall eintreten, dass Politiker ihre Versprechen einhalten. Und ich habe versprochen: Ich unterschreibe nicht, wenn es keine Volksbefragung gibt.“[17] (Norbert Hofer am 6. Oktober 2016 in der ZIB2)

„Damit haben die Wählerinnen und Wähler der FPÖ nicht unbedingt rechnen können.“[18]

Kennst di aus?

 

Foto: Sticker, abgelichtet im Dezember 2017 in der Herrentoilette eines Wiener Gasthauses. © Thomas Antonic

 

[1] https://kontrast.at/weder-volksabstimmung-noch-ablehnung-fpoe-winkt-ceta-durch/

[2] Vgl. https://derstandard.at/2000079840934/FPOe-stimmt-ruhigen-Gewissens-bei-Ceta-zu?ref=rec

[3] https://www.facebook.com/HCStrache/photos/a.226243068590.133860.74865038590/10154639307078591/?type=3

[4] http://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/13977010

[5] Kluge. Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24. Aufl. Berlin/New York: de Gruyter 2002. [s.v. mauscheln]

[6] http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=mauscheln

[7] https://kontrast.at/weder-volksabstimmung-noch-ablehnung-fpoe-winkt-ceta-durch/

[8] Ebd.

[9] Vgl. https://www.bundeskanzleramt.gv.at/documents/131008/569203/Regierungsprogramm_2017–2022.pdf/b2fe3f65-5a04-47b6-913d-2fe512ff4ce6

[10] https://derstandard.at/2000079820321/FPOe-Umfaller-und-andere-Hoppalas-bei-Handelspakt-Ceta?ref=rec

[11] https://derstandard.at/2000079893018/Ceta-Ein-blaues-Ja-mit-Bauchweh-an-der-Basis

[12] https://derstandard.at/2000079840934/FPOe-stimmt-ruhigen-Gewissens-bei-Ceta-zu?ref=rec

[13] https://www.youtube.com/watch?v=4fYp0h8xZu8

[14] https://twitter.com/Pbern12/status/996729384663961602

[15] https://twitter.com/michelreimon/status/996671212582563840

[16] https://oe1.orf.at/player/20180516/513669

[17] http://tvthek.orf.at/profile/ZIB-24/1225/ZIB-24/13976985

[18] https://oe1.orf.at/player/20180516/513669

 

Letzter Aufruf sämtlicher Links: 2018-05-21