BETTELN UM UNSICHERHEIT

Hintergrund

Polizeiaktionen wie die in Wien setzen Spirale in Gang

„Sechzig Polizisten gingen gegen organisierte Bettlerbanden vor“, verkündete Radio Wien. Als hätte man es nicht schon geahnt, kam es wieder einmal zu zwölf Festnahmen, vier Strafanzeigen und 79 Anzeigen nach dem Verwaltungsstrafgesetz. 415 Bettlerinnen und Bettler wurden per Ausweiskontrolle namhaft gemacht.

Die Meldung ist, könnte man sagen, Anomalisierung. Normalität ist hingegen, wenn an einem Montag oder Dienstag in einer europäischen Millionenstadt 415 Menschen aus Bulgarien, Rumänien, Ungarn und der Slowakei auf dem Straßenpflaster sitzen und warten, dass jemand ihnen eine Münze in den Pappbecher wirft.

Sogenannte „Bettlerstreifen“, bestehend aus je zwei PolizeibeamtInnen und zwei VerwaltungsjuristInnen, durchkämmen ohnehin regelmäßig die Wiener Innenstadt und strafen. „Selten gibt es dazu eine Presseerklärung“, sagt Ferdinand Koller von der Wiener Bettellobby, bei der die frisch Gestraften vorsprechen und ihre Protokollzettel zeigen. Außer, es kommt ein neuer Bürgermeister und will zeigen, dass er für Recht und Ordnung sorgt.

Meldungen über „umfangreiche Schwerpunktaktionen“ der Polizei wie die von Anfang Mai sollen das „subjektive Sicherheitsgefühl“ der Bevölkerung stärken. Nicht aber deren objektive Sicherheit. Immer wieder gebe es Berichte, dass Bettler sich auf der Polizei nackt ausziehen und ihre Körperöffnungen kontrollieren lassen müssten. Auch von Schlägen werde erzählt, sagt Koller. Die Folge sei, dass die Betroffenen kein Vertrauen in die Behörden hätten. „Wenn wirklich etwas ist, geht niemand zur Polizei.“

Immer wieder gebe es Berichte, dass Bettler sich auf der Polizei nackt ausziehen und ihre Körperöffnungen kontrollieren lassen müssten. Auch von Schlägen werde erzählt…

Eine Anzeige nach dem Verwaltungsstrafgesetz riskiert in Wien, wer „gewerbsmäßig“ bettelt – also, so das Gesetz, allein zum Zwecke des Bettelns in die Stadt gekommen ist und sich dort so „eine fortlaufende Einnahmequelle verschaffen“ will.

Eigentlich müsste solchen „Täter*innen“ nachgewiesen werden, dass sie andere Einnahmequellen verschmähen – etwa Kisten schleppen auf dem Großmarkt, Blumen oder Straßenmagazine verkaufen oder vor dem Supermarkt Wägelchen zusammenschieben. Die Mühe des Nachweises machen die Streifen sich allerdings nicht – was nicht weiter verwundern darf, weil von ihnen niemand Bulgarisch, Rumänisch, Ungarisch oder gar Romanes spricht. So liest Koller auf den Protokollen, dass ein Delinquent „in gebrochenem Deutsch“ versichert habe, er habe sich per Bettelei eine „fortlaufende Einnahmequelle“ verschaffen wollen.

Was die Verwaltungsvorgänge an Dramatik darüber hinaus vermissen lassen, schaffen die lokalen Medien. Die „organisierten Bettlerbanden“, von denen etwa Radio Wien sprach, hat zwar keine Streifeausgemacht. Gegen sie „vorgehen“ kann die Polizei aber trotzdem; mag der Vorstoß auch ins Leere laufen. „Die wenigen Festnahmen betreffen in der Regel Menschen, die ihre Strafen nicht bezahlt haben und sie jetzt absitzen müssen“, sagt Koller. Dass die Verwaltung – als Ankläger und Richter in einer Person – Menschen aus eigener Machtvollkommenheit einsperren darf, macht Österreich zu einem europäischen Kuriosum.

Dass die Verwaltung – als Ankläger und Richter in einer Person – Menschen aus eigener Machtvollkommenheit einsperren darf, macht Österreich zu einem europäischen Kuriosum.

Die dubiose Verwaltungsstraftat des „gewerbsmäßigen Bettelns“ hat den Segen des Verfassungsgerichtshofs. Der urteilte 2012, Voraussetzung dafür sei eine „Erwerbsentscheidung“ der Bettlerin oder des Bettlers – als entzögen sich die Bulgaren in der Wiener Innenstadt einem Arbeitsmarkt, der nach ihnen lechzen würde. Der Strafe entgeht, wer nachweisen kann, dass sie/er sich zuvor auf dem AMS gemeldet hat. Straflos bleiben auch das Verteilen welkender Nelken oder das Anbieten uralter, unlesbarer Straßenzeitschriften.

Noch fragwürdiger als der Tatbestand der gewerbsmäßigen Bettelei ist der des „organisierten“ Bettelns, das in einigen Bundesländern verfolgt wird. Schuldig macht sich demnach jede/r, die/der mit mindestens zwei Kolleginnen oder Kollegen auf diese oder jene Weise sozial interagiert – indem man nach getaner Arbeit, genauer: Erwerbstätigkeit, gemeinsam mit den anderen den Erwerbstätigkeitsort verlässt – oder nur durch Blickkontakt. In Linz etwa kontrolliert die einschlägigen Interaktionen der städtische „Ordnungsdienst“. „Hundert Euro Strafe sind normal“, sagt Markus Pühringer von der Bettellobby Oberösterreich, zweihundert nicht ungewöhnlich. „Die Männer sitzen die Strafe meistens ab, die Frauen legen zusammen und zahlen.“

Seit Städte wie Linz und Vöcklabruck „sektorale“ Bettelverbote erlassen haben, gehen frühere StadtbettlerInnen auch auf dem Land von Tür zu Tür, klingeln und bitten um eine milde Gabe. Auswirkungen auf das „subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung“ könnten sich in den Ergebnissen kommender Gemeinderatswahlen zeigen. „Umfangreiche Schwerpunktaktionen“ der Polizei zu dessen Stärkung sind nicht auszuschließen.

 

Wiener Wut

Zwei junge Bulgaren müssen in Wien 550 Euro Strafe zahlen – weil sie, wie es in der Verfügung heißt, „zwischen den anhaltenden Autos umher gingen und zu dritt in Bettelabsicht an die Scheiben klopften“ und weil sie „als Fußgänger zwischen den Autos auf dem Fahrstreifen gegangen“ seien.

Hier ihr Bericht von dem Vorfall, gegeben in bulgarischer Sprache:

„Wir fuhren mit der Straßenbahn 6. Als wir bei der Station Gumpendorfer Straße ausstiegen, wurden wir von Polizisten angehalten, die unsere Ausweise kontrollierten. Wir mussten uns mit erhobenen Händen zur Wand stellen und in dieser Stellung warten (gefühlte zwei Stunden). Wir bekamen die Strafen ausgehändigt.

Wir haben nicht gebettelt, waren auch nicht auf die Straße gegangen, hatten nicht an die Scheiben geklopft, wir waren lediglich aus der Straßenbahn ausgestiegen. Wahrscheinlich hat die Polizei aufgrund unserer schlechten Kleidung angenommen, dass wir betteln. Aber wir haben dort weder an diesem noch an anderen Tagen gebettelt. Wir betteln, aber nicht auf diese Art, und an diesem Ort hatten wir auch noch nie gebettelt.

Beim Aussteigen beobachteten wir, dass die Polizei einen jungen Mann, den wir kennen, gerade anhielt. Die Polizei ging anscheinend davon aus, dass wir an diesem Ort zu dritt bettelten, in dem wir an Autoscheiben klopfen. Doch das war nicht so. Wir kennen den anderen jungen Mann, weil er aus unserem Dorf ist, haben aber nicht mit ihm gemeinsam gebettelt. Er war schon dort und wir kamen gerade an. Wir haben auch nicht gesehen, ob und wie er dort bettelte.

Die Polizei hielt uns recht lange an dem Ort fest. Wir mussten mit erhobenen Händen und Kopf zur Wand lange stehen, durften nicht reden und wurden angebrüllt. Vor allem ich, L., hatte große Angst. Wir wussten nicht, was mit uns passiert. Mir zitterten die Knie. Es kam kein Dolmetscher. Wir mussten dann die Strafverfügung unterschreiben, und man sagte uns, wir sollten abhauen.“

 

„Von den weit über hundert Strafverfügungen, die sie in den letzten Jahren beeinsprucht hat, wurden rund 80 Prozent vom Verwaltungsgericht Wien aufgehoben. Viele Bettler_innen verstehen auch nicht, warum sie bestraft wurden. Die persönlichen Gespräche mit Betroffenen in der Rechtsberatung machen deutlich, dass das Abstrafen die soziale Situation noch verschärft. Anstatt Armut nachhaltig zu bekämpfen, werden Arme abgestraft.“

Ulli Gladik, Bettellobby Wien